Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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102. Der geträumte Muttermord

Quelle: Dr. Albert Moll: »Der Hypnotismus«. Fischers Medizinische Buchhandlung, Berlin, 1907.

In einem norddeutschen Dorf wurde eines Tags eine verheiratete Frau vermißt. Etwa drei Tage später sagte der Sohn der Frau, er hätte geträumt, daß seine Mutter zwischen den Ortschaften A. und B. ermordet worden sei. Der Knabe teilte diesen Traum mehreren Personen mit, und diese erzählten ihn weiter. Die Leiche wurde gesucht, und man fand sie etwas abseits von der Landstraße zwischen A. und B., d. h. da, wo der Knabe sie im Traum geschaut hatte. Die Behörde, welche die Ermittelungen leitete, wendete sich nun an den bekannten Psychologen Dr. Albert Moll, um seinen Rat für die Aufklärung dieser seltsamen Angelegenheit zu erbitten. Der Beamte, der den Gelehrten aufsuchte, erklärte in sehr objektiver Weise, der Behörde käme die Sache unglaubhaft und sehr merkwürdig vor. Um aber auf keinen Fall etwas zu versäumen, wolle sie einen Sachverständigen um Rat fragen, und man bäte Moll um seine Meinung.

Äußerst interessant war, was sich nun an Einzelheiten ergab. Zunächst stellte sich heraus, daß der Knabe den Traum selbst ganz verschieden erzählt hatte. So hatte er im Traum auch die Mörder gesehen, aber er beschrieb sie bald so, bald so, selbst ihre Zahl gab er verschieden an. Auch die Art der Ermordung schilderte er ganz verschieden, und das einzige, wobei er blieb, war, daß er im Traum die Ermordung seiner Mutter zwischen den Ortschaften A. und B. gesehen hätte.

Aber auch dieses Rätsel löste sich sehr einfach.

Man hatte sich in Gegenwart des Knaben bereits am Tag vorher darüber unterhalten, daß die Frau nur zwischen A. und B. ermordet sein konnte. Es ergab sich dies durch die Ermittelungen als so sicher, daß, noch ehe der Traum des Knaben bekannt geworden war, Leute sich auf den Weg begeben hatten, um die Leiche zwischen A. und B. zu suchen.

Alle anderen Einzelheiten des Traums, in deren Wiedergabe sich große Widersprüche fanden, erwiesen sich als falsch. Trotzdem wurde sofort erzählt, es hätte bei dem Knaben im Traum ein Hellsehen stattgefunden; die Behörde müsse nach dieser Richtung weiter forschen. Es zeigte sich dabei die Erfahrung, 132 daß, wenn bei einer Prophezeiung ein unbedeutender Punkt stimmt, alles andere von wundersüchtigen Menschen ohne weiteres als richtig hingenommen wird, und zwar ohne Prüfung.

Jedenfalls hatte sich das ganze Wunder auf folgende Tatsache reduziert: der Knabe hatte einen Traum, in dem er etwas träumte, was er am Tag vorher schon gehört hatte. Alles andere war Phantasie.


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