Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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228. Eisberge

Zu den herrlichsten Erlebnissen gehört es, auf sonnenbestrahltem Meer einem Eisberg zu begegnen. Mit spitzen Zinnen und Türmen wie ein bizarrer Schloßbau bewehrt, gleitet das riesenhafte Gebilde vorüber, von der Sonne mit glitzernden, in Farben spielenden Lichtern übergossen. Aber die Seeleute auf der Kommandobrücke des Schiffs sehen die wunderbare Erscheinung nicht gern; bedeutet sie doch für jedes Schiff eine große Gefahr.

Der Allgemeinheit ist diese Gefährlichkeit der Eisberge in ihrer ganzen Größe erst durch die furchtbare Katastrophe bekannt geworden, die den englischen Riesendampfer »Titanic« am 14. April 1912 ereilte. Das Schiff, das seine erste Fahrt machte und als »unsinkbar« bezeichnet war, ging nach Zusammenstoß mit einem Eisberg in der Nähe der Neufundlandbänke unter und nahm 1500 Menschen mit sich in die Tiefe. Viele, viele andere Opfer haben die schwimmenden Berge schon gefordert, namentlich in jener Gegend, die das Grab der »Titanic« wurde, weil die Erscheinung dort besonders häufig ist.

Die Eisberge entstammen den riesigen Gletschern des Polargebiets, namentlich Grönlands, das auf einer Fläche, doppelt so groß wie das deutsche Reich, vollkommen mit Eis bedeckt ist. Die Gletscher sind in ständiger Bewegung; sie bilden gewaltige Eisströme, die mit Geschwindigkeiten bis zu 30 Metern an einem Tag sich zur Küste hinschieben. In den tief eingeschnittenen Buchten brechen dann von den vordersten Teilen des Eisstroms kolossale Stücke ab, die ins offene Meer hinausschwimmen. Die Gletscher kalben, wie man sagt.

Die Zahl der zu gleicher Zeit auftretenden Eisberge ist gerade auf der Reiselinie der großen transatlantischen Dampfer in gewissen Perioden sehr groß. Es ist vorgekommen, daß ihrer an einem Tag 300 bis 400 gezählt worden sind. Ihre Nähe ist für die vorbeifahrenden Schiffe darum besonders bedrohlich, weil nur ein geringer Teil der Eismasse, ungefähr ein Achtel, aus dem Wasser ragt; niemand kann wissen, wie weit oft der ungeheure Fuß sich unter dem Meeresspiegel ausstreckt. Ferner treten durch das ständige starke Abtauen der südwärts treibenden Blöcke Verlagerungen des Gesamtschwerpunkts ein, die 318 ein plötzliches Umkippen der Masse verursachen können. Leicht kann dann das Schiff von einer Eiskante oder doch von der sehr kräftigen Woge getroffen werden, die durch das Aufschlagen großer Flächen entsteht. So suchen die Schiffe die Nähe von Eisbergen, die sich schon von weit her durch starke Herabsetzung der Temperatur bemerkbar machen, möglichst zu vermeiden, und sie teilen sich mittels eines ausgedehnten Meldediensts gegenseitig das Herannahen von Eismassen mit.

Erstaunlich ist die Größe, welche diese schwimmenden Berge manchmal erreichen. 50 bis 60 Meter über Wasser sind nichts Ungewöhnliches. Das Segelschiff »Präsident Thiers« begegnete im November 1896 Eisbergen, die 150 Meter hoch waren. Sie bedeckten das Meer in einer Breite von 37 Kilometern, sodaß das Schiff lange Zeit durch die Sperre aufgehalten wurde. Im Jahre 1893 bildete sich an der patagonischen Küste, also im Südmeer, eine Eisbank, die an 300 Kilometer lang gewesen sein soll. Fast ein Dutzend Schiffe scheiterte an diesem riesigen Hindernis.

Die gewaltigste Zusammenballung schwimmenden Eises, die je beobachtet wurde, ist wohl die Eisbarriere, auf die der berühmte Südpolarfahrer J. C. Roß auf einer seiner Expeditionen stieß. Er hielt sie für eine Küstenlinie; sie ist aber später nie wieder aufgefunden worden, muß also beweglich gewesen sein. Diese schwimmende Eismasse hatte eine Länge von vielen hundert Kilometern.


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