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Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)

Sie gekannt zu haben, ist eine meiner kostbarsten Menschenerinnerungen. Meine Frau fügt hinzu: Von ihr umarmt und geküßt worden zu sein, ist eine Adelung. Dies wurde ihr zuteil, als wir 1913 aus Griechenland heimkehrend sie an einem Novembernachmittag in Wien besuchten, etwa anderthalb Stunden vor der Abfahrt unsers Zuges vom Nordwestbahnhof. Ich zog nach einer Stunde die Uhr und entschuldigte das mit der Bemerkung, daß unser Zug in einer halben Stunde abfahre. Die liebe große Frau fiel aus den Wolken: ›Und da sitzen Sie so ruhig bei mir und sprechen von Olympia und Krambambuli? In einer halben Stunde? Ja wie machen Sie denn das? Wenn ich im Sommer aufs Land gehe, nach Zdislawitz, so fiebre ich schon drei Tage vorher, und Sie sitzen noch hier!‹ – ›Teure Gnädigste, wir haben die Karten, unser Gepäck ist aufgegeben, in 15 Minuten sind wir am Bahnhof, – wenn Sie uns dabehalten wollen, sprechen wir noch 10 Minuten über die Freiherren von Gemperlein und den Hermes von Andros.‹ Und dann nahm sie meine Frau zum Abschied in ihre Arme und küßte sie. – Wir haben sie nicht wiedergesehen. Damals stand sie in ihrem 84. Jahr, war körperlich rüstig, geistig ganz auf der Höhe, auf der ich sie 1890, 23 Jahre zuvor, gesehen hatte, – ein Wunder anzuschauen.

Ihre Bildnisse zeigen alle ein wenig schönes Frauenantlitz. Was sind Bildnisse, gemalte und gelichtbilderte? Gibt es denn überhaupt häßliche Frauen, die eine Seele haben?

Saß man ihr gegenüber, sprach man mit ihr, so strahlte einen die edelste Schönheit an; der Geist war übermächtig über – sagen wir die Haut. Man sah ihre Augen voll Licht und Güte, und man war in einem Reiche jenseits von schön oder hübsch oder nichthübsch. So empfand ich die beiden Male, daß ich sie gesehen; so empfand meine Frau, die davon noch mehr versteht.

Große Literaturgespräche, mit Ausnahme von ›Krambambuli‹, habe ich nicht mit ihr geführt, absichtlich nicht; sie bestimmte und führte natürlich die Unterhaltung, und fürwahr wir haben uns nicht gelangweilt. Ohne Eitelkeit darf ich sagen: auch sie sich nicht, besonders das letzte Mal, das mir deutlich in der Erinnerung aufklingt. Wir waren noch voll der Herrlichkeiten, die wir in Griechenland gesehen, und der Mund floß davon über. Sie war erregt, fast leidenschaftlich, als wir von der Akropolis sprachen, von der großen Inschrifttafel über den Bau des Parthenons – ›O die gibt es? – wie wunderbar!, fast 2½ Jahrtausende alt und spricht zu uns!‹ Und vom Hermes in Olympia, und von den Funden aus dem Meeresgrunde bei der Insel Andros, und dort noch ein Hermes –! Sie sah uns an, sie sprach zu uns, von uns, wie wenn wir dadurch geweiht waren, daß wir das alles gesehen hatten.

Sie kannte meine ›Griechischen Frühlingstage‹, sie hatte die schönen Reiseberichte von Isolde Kurz über Griechenland mit Entzücken gelesen; sie wußte alles und schwärmte wie ein feurig begeisterter junger Mensch für den Schönheitsglanz, der aus Urvergangenheit auf uns herüberleuchtete, – sie die Dreiundachtzigjährige, noch älter als Goethe an seinem letzten Tage.

Sie hat noch ein paar Jahre gelebt, hat das Grauen des Weltkrieges sehen müssen, doch sie ist zur Ruhe gegangen vor dem Zusammenbruch und der Auflösung ihres Österreichs. Heute gehört ihr Heimatsitz den Tschechen.

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