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Stumm (1836-1901)

In jeder eingehenden Geschichte der Zeit Wilhelms 2. wird er genannt werden. Die Deutsche Wortkunde wird bei den Ausdrücken ›Scharfmacher, scharfmachen‹ bemerken: Zuerst von dem Freiherrn von Stumm so gebraucht, daß sie allgemein bekannt wurden und blieben; geschaffen hat er sie nicht. Jener Herr Stumm, erst von Wilhelm 2. geadelt, hatte die Stirn, durfte sie haben, dem Vertreter der evangelischen Arbeitervereine, einem Pfarrer Lentze, zu sagen, er werde den Kaiser ›scharf zu machen suchen zur Anwendung rückhaltloser Gewalt, zum Kampf auf Leben und Tod‹, nämlich gegen die Arbeiter, die anders dächten und sich regiert wissen wollten als er, der mächtige Herr von Stumm, der König Stumm, der Herrscher von Saarabien, wie ihn der erbitterte Volkswitz nannte.

Stumm war viele Jahre Mitglied des Reichstags, dessen unangenehmstes, unbeliebtestes Mitglied. Keiner liebte ihn, selbst auf der Rechten keiner. Er war der fleischgewordene Hochmut und Emporkömmlingsstolz. Er war, durch die Arbeiter in seinen Hüttenwerken, sehr reich, sehr mächtig geworden und spielte sich schon als Herr Stumm maßlos auf. Als Freiherr von Stumm überbot dieser Schlotjunker von gestern an Dünkel, Machtkitzel, Zarengefühl die Landjunker aus den ältesten Geschlechtern, die ihm an Feinsitte und echtem Mannesadel hoch überlegen waren. Er erinnerte an die Schilderungen, die von den Sklavenhaltern der nordamerikanischen Südstaaten zu uns gedrungen waren. Die Löhne auf seinen Werken waren nicht schlecht, es gab da auch Wohlfahrtsanstalten; aber die Arbeiter betrachtete er als seine tief unter ihm im Staube wimmelnden Knechte aus Pariageschlecht, sich selbst als einen Oberherrn von Gottes Gnaden, den Kaiser als seinen Obergendarm.

Im Reichstag benahm er sich gegen jeden politischen Gegner im Reden unfein, bei der unausweichlichen menschlichen Begegnung hochnäsig bis zur Lächerlichkeit. Die Konservativen sprachen freundlich mit den Freisinnigen, selbst mit Männern wie Bebel, Singer, Vollmar; der geadelte Stumm spielte den unnahbaren Geßler. Dabei sagte sich jeder: was wärest du, wenn deine Arbeiter dir nicht das viele Geld verdienten? Er galt für einen klug rechnenden Fabrikherrn, aber solche gab es einige hundert in Deutschland. Sein ganzes Gebaren war das eines Menschen, der einherstelzt und glauben machen will: Meine Ahnen waren die Stützen des Thrones Karls des Großen; und doch wußte jeder, daß sein Großvater, ja noch sein Vater recht kleine Leute gewesen waren.

Nur vor dem Kaiser, dem Spender der Gnaden, benahm er sich wie jeder, der dem Kaiser nahen durfte: byzantinisch; die Minister betrachtete er noch lange nicht als ebenbürtig. Bei den Beamten des Reichstags hatte er den Ton des Massa anzuschlagen versucht; da war er so an- und abgelaufen, daß er fortan beinah höflich wurde. Es war ihm bedeutet worden, er sei nur einer von 400 Abgeordneten, nicht ein Vorgesetzter.

Ich kannte Stumm schon in den 70ern, lange bevor er Freiherr geworden. Er war von jeher hochmütig und anmaßend, aber wie gradezu drollig wurde er nach seiner Adelung! Der Geldprotz mit der Macht, die das Geld ihm verlieh, weiter nichts. Natürlich gehörte er sogleich zur unabsehbar großen Schar Derer, die ihre ›Königstreue‹, ihren ›Patriotismus‹, ihre staatserhaltende Seele auch dadurch bekundeten, daß sie ihre Schnurrbartspitzen nach der neusten Strebermode des Drachentöters und Schlagadodros zum Himmel emporzwirbelten. Ihn so durch die Wandelhalle schon im alten Reichstag einherstolzen zu sehen, war ein Anblick, wie ihn sonst nur die Possenbühne darbot. Von wahrer Vornehmheit in Haltung, Rede, Lebensform keine Spur; allen höheren geistigen Anliegen gegenüber stumpf; eine wichtige Erscheinung des öffentlichen Lebens nur darum, weil er das Ohr des Kaisers hatte. Daß niemand den Mut fand, dem Kaiser zu sagen: Ihr freundschaftlicher Umgang mit Stumm schadet Ihnen unermeßlich! Was für Hoffnungen sollten die Arbeiter auf einen Kaiser setzen, der mit dem von ihnen am meisten gehaßten Unternehmer nicht nur gesellschaftlich verkehrte, sondern sich von ihm über Arbeiterfragen beraten ließ? Nach dem anmaßenden Wort vom Scharfmachen des Kaisers hätte Stumm mit hörbarem Krach abgehalftert werden müssen. Das geschah nicht, Stumm blieb der Günstling des Kaisers, bis – ja bis ihn der Magenkrebs fällte. Ich erinnere mich des Tages, als die Nachricht ›Stumm ist tot‹ im Reichstag bekannt wurde. Man hörte sie an, man schwieg, denn was sollte man anständiger Weise sagen? Das allgemeine Gefühl aber war: Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

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