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Wer von Elsaß-Lothringen spricht, wer gar die Geschichte dieses Schicksallandes gewissenhaft schreiben will, der bemühe sich, Herrn Matthias von Koeller, den Staatssekretär der Reichslande von 1901, mit eingehender Genauigkeit zu würdigen, wenn – er kann. Er wird es schwerlich können, denn in den geschichtlichen Quellen und in den Akten steckt nicht der Mensch, und alle Schicksalsdinge dieser Welt sind die Werke des Menschen. Um wirklich zu wissen, wer der Mann war, den die Weisheit des Reichskanzlers Bülow zum Verwalter der Reichslande berief, der muß ihn gesehen, gehört, in sich aufgenommen haben, und von welchem Geschichtschreiber wird dies gesagt werden können? Alle Geschichte aus den Akten ist totes Papier; es bleibt bei Lessings tiefem Wort, daß der wahre Geschichtschreiber nur der seiner selbsterlebten Zeit ist. Solch einer war Thukydides, – wer noch?
Ich habe Matthias von Koeller nicht als den Staatssekretär für Elsaß-Lothringen gekannt, sondern nur als konservativen Abgeordneten im Reichstag, und spreche es heute, wo all dergleichen ja vorsintflutlich geworden ist, ohne Zorn und Eifer aus: Wenn im Jahre 1901, dem der Berufung Koellers in das höchste Amt nach dem Statthalter, eine Umfrage bei Mitgliedern aller Parteien, mit Einschluß der konservativen, bei allen einsichtsvollen Männern des öffentlichen Lebens, der Presse, der höchsten Reichsämter veranstaltet worden wäre, wer wohl der geeignetste Mann für jenen wichtigen Posten, ja wer nur zur äußersten Not geeignet sei, – auf Herrn von Koeller wäre, außer der seinen, keine einzige Stimme gefallen. Umgekehrt: hätte man im Reichstag umgefragt, wer von den Mitgliedern, selbst denen auf der Rechten, der ungeeignetste sei, so hätten nicht Wenige lachend gerufen: Herr von Koeller!
Also jener unwahrscheinliche, unmögliche Herr von Koeller wurde – von wem? – dazu ausersehen, die schwankenden Elsässer und Lothringer durch seine Regierungsweisheit zur Anhänglichkeit an das Deutsche Reich, zur Deutschen Vaterlandsliebe, zur Abkehr von Frankreich zu erziehen. In Paris wird man sich über seine Ernennung nicht wenig gefreut haben. Das geschah unter der Reichskanzlerschaft Bülows, des wegen seiner staatsmännischen Klugheit Gepriesenen, nicht erst unter Bethmann.
Herrn von Koeller habe ich länger als ein Jahrzehnt gekannt. Er war ein Junker wie hundert Junker, zum Landrat nicht schlecht geeignet, d. h. zum ostelbischen Landrat von der Art, wie er vor einem Menschenalter sein mußte: ein Hort der konservativen Wahlmache. Ohne eine Spur höchster Geistesbildung, sogar des für das Elsaß unentbehrlichen Französischen unkundig, geistlos, nur gestützt auf seine Zugehörigkeit zur herrschenden, allmächtigen Vorrechtspartei. Anmaßend in seinem ganzen Gebaren ohne die kleinste Eigenberechtigung dazu, den Naturburschen vom Lande spielend, in jeder Hinsicht ungeeignet zu einer Stellung, die Wissen, Können, Takt, ja nur feine Lebensart forderte. Der wurde auf den Platz berufen, um den sich das Schicksal der Reichslande, damit Deutschlands und Europas bewegte! So wie 1917 ein Herr Michaelis zum Reichskanzler ernannt wurde.
Köller, immer wieder Köller muß man nennen, wenn man ergründen will, warum die Elsässer und Lothringer, Deutsche Menschen, von Deutschland abgefallen sind, als es aufhörte, mächtig zu sein. Köller war der Beamte, auf den die Elsässer immer wieder hinwiesen: Seht, so werden wir von den Preußen, von den ostelbischen Junkern regiert. Schon in Pommern war ein Köller doch nur möglich, weil man sich dort seit Jahrhunderten daran gewöhnt hatte, von der Kaste der Köller regiert zu werden. Der Regierende und die Regierten hatten sich auf einander eingestimmt. Man scherzte, im Lande und im Reichstag: ›Herr von Köller? – Es wird immer döller‹ und ertrug ihn, weil man seinesgleichen schon seit undenklichen Zeiten hatte ertragen müssen. Und diesen pommerschen Junker von der unerfreulichsten Art – es gibt auch andre pommersche Junker – ließ der ›bekanntlich‹ fabelhaft kluge Bülow auf die Reichslande los!
Ob wohl aus den Akten festzustellen ist, wer dem Kaiser jenen Köller empfohlen, und was der Reichskanzler Bülow dazu gesagt hat? Wir haben Elsaß-Lothringen nicht durch diesen einen Köller verloren; aber er war der Mustervertreter der gesamten Regierungsweisheit, die Frankreichs dauernde Hoffnung auf den französischen Geist des Volkes der Reichslande immer neu gestärkt und dadurch, wesentlich dadurch den Weltkrieg herbeigeführt hat. Dies hatte Herr von Schoen erkannt (vgl. S. 200); was aber vermochte er gegen den Geist des Köllertums, der in Preußen, damit über Deutschland herrschte?
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