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Ich habe das arme Weib, das wahrscheinlich sehr gefährlich war, aber doch nicht totgeschlagen werden durfte, nie gesehen, bin aber einmal mit ihr in eine Beziehung gekommen, oder vielmehr sie mit mir, und das ist so zugegangen. Ich erzähle es, weil es für die blutrote Rosa überaus bezeichnend ist.
In meinem Büchlein ›Sprich Deutsch!‹ hatte ich mich ein wenig lustig gemacht über die Deutschen Bekämpfer der Deutschen Sprache, die von jeder Verdeutschung eines dummen Fremdwortes verlangen, daß es nicht nur sinnvoll sei, sondern auch den Begriff bis in alle seine Feinheiten genau wiedergebe. Ich hatte Beispiele angeführt von allbekannten Deutschen Wörtern, die ganz und gar nicht sinnvoll sind, sondern sogar eine Sinnwidrigkeit enthalten. Eins dieser Wörter war ›Grasmücke‹, und ich hatte gefragt: ›Was ist eine Grasmücke? Es gibt unzählige Mücken an Gräsern. – Was sagen Sie? – Das ist gar keine Mücke, sondern ein Vogel? Die Puristen haben offenbar selber eine – Grasmücke.‹ Kein Mensch konnte dies für etwas andres nehmen als für Spott gegen die Dummköpfe, die von jedem Wort die genaue Wiederspiegelung des Begriffes fordern, z. B. von der Baumwolle, daß sie auf Bäumen wachse. Mein Buch war 1917 erschienen und in wenigen Monaten in sehr vielen Abdrucken verbreitet; keiner hatte mich falsch verstanden, aber eine, und das war Rosa Luxemburg, die von ihren Anhängern als ein Ausbund von Klugheit Gepriesene.
Wie mein Buch in ihre Hände gekommen, weiß ich nicht. Sie saß im Breslauer Gefängnis; wegen welches Staatsverbrechens, wußte und weiß ich nicht; vielleicht nur in der während des Krieges sehr beliebten ›Schutzhaft‹. Streng kann diese nicht gewesen sein, denn Frau Rosa durfte nach Belieben briefwechseln, allerdings unter Aufsicht der Gefängnisverwaltung.
An einem Sommertage des Jahres 1918 bekam ich einen Brief aus Breslau mit einem Stempel der Gefängnisverwaltung: ›Freigegeben‹, oder so ähnlich. Das Papier des Umschlages und des Briefbogens allerbestes, dickstes Bütten, wie ich es nie besessen. Frau Rosa mußte es dazu haben, die Gefängnisverwaltung hatte ihr solches gewiß nicht geliefert, und ich freute mich über Rosas ›blühende Geschicke‹, um mit dem Deutschen Überdante zu sprechen. In dem Briefe schrieb sie mir zu meiner liebreichen Belehrung: die Grasmücke sei keineswegs eine Mücke, und dann folgte das, was in vielen wissenschaftlichen Wörterbüchern der Deutschen Sprache über die wahre Bedeutung des Wortes Grasmücke zu lesen ist. Ich hatte, wie ich glaubte, für jeden Leser verständlich, allerdings scherzend gesagt, daß auch ich die Grasmücke für keine Mücke hielt; aber die als so überaus klug gerühmte Rosa hatte meinen kleinen Spaß nicht verstanden, sondern sich verpflichtet gehalten, meiner dürftigen Sprachkenntnis liebevoll zu Hilfe zu kommen, indem sie mir wissensstolz mitteilte, was sie aus dem Kluge oder Weigand abgeschrieben hatte. Was für eine Bücherei muß die Gute mit ins Gefängnis geschleppt haben!
Gewiß war das nicht die ganze Rosa, aber deutlich sah ich sie vor mir in ihrem Bildungsprotzentum, womit sie die dumme übrige Menschheit aufzuklären suchte. Ich habe herzlich gelacht über jenen Brief der gelehrten Rosa; dann habe ich ihr höflich dankend geantwortet, daß in meinem Kluge wie auch in meinem Weigand die von ihr so gütig erteilte Belehrung stehe, und daß sie wohl in ihrer Weltabgeschiedenheit den Sinn für den kleinen Spaß verloren habe, den ich mir mit den dümmsten Gegnern reiner Deutscher Sprache erlaubt hätte. So schieden Rosa und ich in voller Höflichkeit für immer von einander.
Sie muß von einem unwiderstehlichen Trieb zur Weltverbesserung im Großen und, bevor diese durchgesetzt sei, im Kleinen gehetzt worden sein. Ein jetzt verstorbener Minister aus den Umsturztagen von 1918 hat mir folgende reizende selbsterlebte höchst aufregende Begebenheit aus Rosas Leben noch vor dem Weltkriege erzählt. Er wohnte mit ihr in demselben Fremdenheim im Westen Berlins, Wand an Wand, und wurde in einer Nacht aus tiefstem Schlafe geweckt durch ein fürchterliches zweistimmiges Geheul und Gekreisch in Rosas Zimmer. Offenbar schrie ein armes schwaches mit dem Tode bedrohtes Mädchen um Hilfe vor einem mordsüchtigen andern Weibe, das unter Tobsuchtsgekreische mit dem Messer auf sie einstach. Entsetzt warf sich der junge Zukunftsminister in das notdürftigste Gewand, stürmte gegen die Außentür des Nebenzimmers, – sie war unverschlossen, und ihm bot sich dieses grauenvolle Schauspiel: Rosa hatte eine junge Deutschrussin, die in einem andern Zimmer wohnte, bei den Schultern gepackt, schüttelte sie wie eine Besessene, brüllte auf sie ein: ›Du Gans! Du blödsinnige Gans, Ricardo – –‹. Sie hatte den Eindringling bemerkt, war jedoch keineswegs überrascht, gar erschrocken, daß sie in ihrem Mordangriff unterbrochen wurde, schrie vielmehr dem nächtlichen Besucher mit ungesenkter Stimmlage zu: ›Marx hat Ricardos Grundrententheorie erst 1856 – –‹ Der Zukunftsminister wandte sich an die mit dem Tode bedrohte Jüngere: ›Glauben Sie mir, liebes Fräulein, Frau Luxemburg ist so gründlich mit Ricardo und Marx vertraut, – wenn sie Ihnen sagt, Marx hat erst 1856 – Sie dürfen es ihr glauben, schon damit ich schlafen kann, denn Ihr geschichtlicher Streit regt auch mich sehr auf.‹
Rosa küßte lachend ihren weiblichen Gegner, wir verließen sie befriedigt, ein Blutvergießen war glücklich verhindert.
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