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Edward Schröder

Wunderliches Spiel des Zufalls oder des Schicksals, wie sich edle Seelen finden: Röthes Schwager Edward Schröder in Göttingen, gleichfalls Professor für Deutschkunde, ist ein ebenso heftiger Widersacher der ihm zum Lehramt anvertrauten Sprache wie Röthe, und von gleicher Unwissenschaftlichkeit. In keinem zweiten Lande der Welt wären die Bloßstellungen möglich, die das Schwägerpaar Röthe und Schröder begangen hat; in Deutschland haben sie keinem der Beiden etwas geschadet.

Schröder ist ein Todfeind der Sprachreinigung; er bekämpft jedes neugebildete Deutsche Wort, durch das einem noch so blöden Fremdwort der Platz inmitten des Deutschen Sprachgefüges streitig gemacht werden könnte. Selbst da, wo er, ausnahmsweise, ein Fremdwort unschön findet, klingt ihm jedes Deutsche Ersatzwort noch unschöner, und er bemakelt es, denn Deutsche Wörter zu bemakeln ist ein Hauptvergnügen für viele ›Germanisten‹.

Röthe bekämpfte mit Gründen, die aus seiner gröblichen Unwissenheit stammten, ›Bücherei‹ und ›völkisch‹ statt der ›edelen‹ Bibliothek und national. Schröder nennt › Restauration‹ einen ›abscheulichen Bankert‹; sowie man aber den Versuch macht, diesen Bankert durch ein gutes Deutsches Wort zu ersetzen, tischt er die Scheingründe seiner Scheinwissenschaft dagegen auf, genau wie Röthe. Er schreibt: ›Das unglückselige ›Gaststätte‹, das man neuerdings dafür aufgebracht hat, ist eine Totgeburt. Man mag es mit dem Hannoveraner spitz Gast-stätte oder mit dem Schwaben breit Gaschtschtätte oder mit den Lauten der Umgangssprache Gast-schtätte sprechen, – immer bleibt die Häufung der Zischlaute unerträglich.‹

Dieses ebenso unwissende wie unwissenschaftliche Gewäsch wagt ein ordentlicher Professor für Deutsche Sprache den Gebildeten des Deutschen Volkes zuzumuten. Dieser Lehrer des Deutschen weiß nichts vom Lautwesen unsrer Sprache. Er weiß nicht, daß der Zusammenstoß von Mitlautern aller Art, nicht bloß von Zischlauten, etwas ganz Gewöhnliches ist. Ausländer mögen oberflächliche Bemerkungen darüber machen; aber viele Zischlautgruppen, die zum Lautwesen der Deutschen Sprache gehören, fallen keinem Deutschen beschwerlich. Schon das Gotische kannte solche Mitlauthäufungen, sogar in nichtzusammengesetzten Wörtern, und Jakob Grimm hat über diese dem Deutschen eingeborene Eigenheit das Nötige gesagt. Nach Tausenden zählen die Mitlautgruppen im Deutschen, die wohl einem Italiener, Japaner, Malaien unbequem sind, die aber jeder sprechende Deutsche ohne jede Schwierigkeit überwindet. Wörter wie: Strumpfwirker, Dampfwalze, Dampfwolke, Sumpffieber, Sumpfpflanze, Strumpfstricker und unzählige andre ›tun der Deutschen Sprache garnicht weh‹, sagt Jakob Grimm mit Recht; aber dem überzartbesaiteten Ohr des Germanisten Edward Schröder, das keinen Anstoß nimmt an den Tausenden übelklingender verluderter Fremdwörter, bereiten sie Qualen. Vollends das Aneinanderfügen von Zischlauten wie in ›Gaststätte‹ ist diesem überfeinerten Sprachmeister ›unerträglich‹.

Was sind das für Anschauungen eines Mannes der Sprachwissenschaft über Grundzüge einer Sprache, seiner Muttersprache! Wie erscheint diesem Gelehrten, der seinen vermeintlichen Gehörsgeschmack über die Berechtigung von Wortbildungen entscheiden läßt, eine Sprache wie die russische, in der die Mitlautgruppe schtsch eine der sehr gewöhnlichen ist? Unwissenschaftliche Menschen urteilen so über Spracherscheinungen, aber man hört nicht auf sie. Von den ordentlichen Professoren in Deutschland ist Edward Schröder der erste, der so urteilt.

›Gaststätte‹ ist ein schon jetzt fest eingebürgertes Wort; in Süddeutschland besonders gewinnt es immer mehr Boden. Schröder schimpft es eine Totgeburt; – es wird ihn und alle andre Gegner reiner Deutscher Sprache unendlich lange überleben. Garnichts ist gegen Gaststätte, gleichviel in welcher Aussprache, zu sagen; kein Mensch außer diesem seltsamen Professor des Deutschen hat etwas dagegen einzuwenden. Es spricht sich so leicht wie Hunderte, wie Tausende festeingebürgerter Deutscher Wörter mit Zischlautgruppen. Beispiele folgen weiterhin; hier fordert zunächst der Wissenschaftssinn des Professors Schröder eine Betrachtung.

Wie verfährt dieser Mann der Wissenschaft bei seinem Urteil über eine sprachwissenschaftliche Frage? Er begegnet einem ihm neu klingenden Deutschen Wort, durch das ein von ihm selbst getadeltes Fremdwort verdrängt werden soll. Genau so, wie der Schwager Röthe die Deutschen Worte ›Bücherei‹ und ›völkisch‹, bekämpft Edward Schröder das Wort ›Gaststätte‹: er denkt nicht einen Augenblick nach, ob die Mitlautgruppen stscht und ähnliche nicht in andern Deutschen Wörtern vorkommen, ohne je Anstoß erregt zu haben; sondern in seiner tief unwissenschaftlichen Denkform haftet er an diesem einen Wort und verwirft dessen stscht als ›unerträglich‹. Hätte er, wie es einem Manne der Wissenschaft ziemt, ein wenig nachgedacht, bevor er ›Gaststätte‹ eine Totgeburt schimpfte, so wären ihm doch wohl, da er ein Deutscher ist, einige der noch nicht gesammelten, nicht gezählten Wörter eingefallen, die er selbst sein Lebenlang ertragen und selbst gesprochen hatte. Als da sind (ich schreibe ohne langes Suchen kunterbunt hin): Geschützstand, Schießstand, Feststätte, Festspruch, Faustschlag, Fauststoß, Grenzsperre, Grenzstein, Brunstzeit, Holzstoß, Holzstall, Holzstiel, Holzstuhl, Gußstahl, Kunststein, Kunststopferei, Bruststimme, Poststück, Poststraße, Poststempel, Heizstoff, Blitzstrahl, Festspiele, Feststraße, feststellen, Lustspiel, durststillend, Kunstschule, Dunststrom (Jean Paul), Weststaaten, Oststaaten, Baststreifen, Ballaststeine, Dienststufe, Oststurm, Holzsplitter, Wurststulle, Mastspitze, Gaststube (altes Wort), Putzstube, Mastschwein, Glanzstoff, Bruststück, Aststück, Reststück, Schwanzstück, Herbststauden, Dienststelle, Kunststück, Kunstsprache, Kunststätte, Kunststil, Raststelle (G. Freytags Ahnen 5, 57), Aststumpf, Dunststreif (Goethe), Feststimmung, Herzstoß, Herzstück, Felssturz, Wetzstein. – Hierzu nehme man die zahllosen Zischlautgruppen, die durch Zusammensetzungen mit ›aus‹ und ›miß‹ entstehen.

Ich habe ziemlich viele Beispiele gegeben, glaube aber nicht, daß sie der hundertste Teil dessen sind, was unsre Sprache an dergleichen scheinbar ›unerträglichen‹ Lautgebilden besitzt. Jeder Leser kann Dutzende von Wörtern hinzufügen. Der Zweck dieser reichen Verbeispielung ist nur der: zu zeigen, wie unwissenschaftlich und stumpf ein Deutscher Gelehrter der Deutschen Sprache seinem eigensten Lebensinhalt gegenüberstehen kann. Er hört das Wort ›Gaststätte‹, worüber sich jeder sprachgesund fühlende Deutsche, den ›Restauration‹ anekelt, von Herzen freut, wobei er sogleich an ganz gleiche Wortbildungen denkt: Feststätte, Gaststube usw. Der erste Gedanke aber dieses Professors des Deutschen ist: Hier strebt das Deutsche Sprachgefühl nach einem guten Deutschen Wort für ein falsches französisches; aber dem muß ich, der Deutsche Gelehrte, sofort mit ›unerträglich‹ entgegentreten, ohne nachgedacht zu haben, wie sich denn sonst das Deutsche in solchen Fällen verhält.

Aber freilich, dieser Professor der Deutschen Sprache ist in Wahrheit niemals mit ihren Wunderkräften vertraut geworden. Er weiß nicht, was unzählige Nichtgelehrte wissen: die Deutsche Sprache, oder besser der Deutsche Mund hat eine erstaunliche Geschicklichkeit im Bezwingen scheinbarer Mißklänge. Der feinfühlige Sprecher wendet kluge leise Mittel an, etwa das Einschalten einer viertelsekundigen Sprechpause, um Lautgruppen wie stscht, schst, sscht und ähnliche ohne den kleinsten Anstoß auszusprechen. Der Professor Edward Schröder lebt inmitten seines Volkes, er selbst hat schon viele ›unerträgliche‹ Wörter dieser Art bequem hingesprochen; aber das erste neue Wort, das genau so gebildet ist wie zahllose andre, bringt alle Räder seines wissenschaftlichen Denkens zum Stehen.

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