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In den ersten Jahren des Weltkrieges bekam ich vom Deutschen Auswärtigen Amt, dem ich als alter Reichstagsbeamter mich freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, wöchentlich mehrmals einen Riesenstoß feindlicher Zeitungen ins Haus geschickt: französischer, englischer, auch italienischer, die ich von Anfang an als feindliche ansah. Beim Durchlesen fiel mir sogleich etwas auf, was meines Wissens in der Geschichte der früheren Kriege Deutschlands nicht vorgekommen war: nahezu in jeder Nummer einer feindlichen Zeitung gab es eine Spalte, worin das Lob der wenigen verständigen, hochherzigen, wahrhaft ›intellektuellen‹ Deutschen Männer gesungen wurde, die sich ihre staatsmännische, den Feinden gerechtwerdende höhere Einsicht nicht trüben ließen durch den ›teutonischen Chauvinismus und Imperialismus‹ nach den Mustern von Treitschke, Bernhardi, Nietzsche, sondern ohne ›nationalistische‹ Einseitigkeit das gute Recht der Feinde verteidigten, die Fahne der Menschheit und der Brüderlichkeit hochhielten, während alle andre Deutsche in der blindesten teutonischen Beschränktheit, in niedrigster politischer Sklavengesinnung dahinlebten und Deutschlands Sache für gerecht hielten.
Immer dieselben großen Namen kehrten wieder, immer dieselben Heroen des ›Kosmopolitismus der aufgeklärten Intellektualität, der wahren Wissenschaft‹ wurden genannt, ihre Träger mit Ehren überhäuft, der Hochachtung aller bester Franzosen, Engländer, Italiener versichert. Ich hatte das Gefühl: wenn mir das widerführe, nicht auf die Straße würde ich mich wagen, verkriechen müßte ich mich vor meinen Volks-, meinen Leidensgenossen, eine Schande ohne gleichen wäre das für einen so Bemakelten. Die von solcher Schande Betroffenen schienen sie gar nicht zu empfinden, kein Einspruch von ihrer einem wurde laut; sie alle verharrten in der Gesinnung und ihrer Betätigung, wodurch sie sich die nie erlahmende, den ganzen Weltkrieg durchdauernde Bewunderung der Feinde Deutschlands erworben hatten. Sie waren von Anfang an die Lieblinge der Feinde, sie sind es bis ans Ende geblieben.
Freilich mit Unterschieden! Maximilian Harden errang sich die Lieblingschaft erst vom zweiten Kriegsjahr ab. Jener grausige Mensch ohne irgendeinen Seelenkern, ohne die Spur einer Überzeugung, in jedem Augenblick einzig der Schmierenschauspieler, der nach dem leisesten Beifall ausspäht, hatte sich bei Ausbruch des Krieges aufs hohe Roß überschäumender Begeisterung, mordlustigen Feindhasses gesetzt, ein Tyrtäos, ein Kleist, ein Theodor Körner. Die Feinde waren bitter enttäuscht, denn in Harden hatten sie im Frieden einen der Ihrigen geschätzt. In Deutschland wirkte dieses auf den ersten Blick als gemacht erkannte geifernde Berserkertum widerlich, schauspielerisch, und die ›Zukunft‹, Hardens geschäftlicher Lautsprecher, wurde nicht gekauft, denn das war nicht mehr die Sprache des schmähenden Thersites, als der Harden Jahrzehnte lang neben dem Reichswagen hergelaufen war. Mit dem Schnellblick des Marktschreiers erkannte er, daß er sich aufs falsche Pferd gesetzt hatte –: er sattelte um, wurde wieder der Thersites und sogleich einer der erklärten Lieblinge der Feinde Deutschlands. › L'eminent publiciste – Le premier écrivain allemand‹ – es war berauschend, und Harden schlürfte diesen Ruhmesfusel aus Feindesschenken wie Nektar. Die tugendhafte Deutsche Regierung unter Bethmann und Michaelis tat keinem der Lieblinge der Feinde das Geringste zu Leide; Harden durfte durch seine Schreibereien den Feinden zeigen, daß sich die Deutsche Regierung im Unrecht, in der Schwäche fühle, daß ein großer Leserkreis ebenso denke wie Harden, – kurz, daß solche Deutsche als Verbündete zu betrachten seien.
Erklärter Liebling der Feinde vom ersten Tage ab wurde Karl Liebknecht, nachdem bekannt geworden, daß er im Reichstag gegen die Bewilligung der Kriegsmittel gewesen; er blieb der Liebling bis ans Ende des Krieges und seines Lebens.
Auch der ›Vorwärts‹ galt vom Anbeginn des Krieges bei den Feinden als eine befreundete Macht; zum erkorenen Liebling wurde er seit dem Sommer 1917. Den Gipfel der Lieblingschaft erstieg diese Deutsche Zeitung am 20. Oktober 1918, als sie geschrieben: ›Deutschland soll, das ist unser fester Wille, seine Kriegsflagge für immer streichen, ohne sie das letzte Mal siegreich heimgebracht zu haben.‹
Theodor Wolff vom Berliner Tageblatt war den Feinden nicht unlieb; zu ihrem ausgesprochenen Liebling hat er es nur in Ausnahmefällen gebracht. In der ersten Kriegszeit fand ich seinen Namen nur selten in der feststehenden Lieblingsliste, – im Tageblatt stand doch auch mancher sanfte Tadel gegen die teuflische Kriegführung der Feinde, besonders der Franzosen.
Fast niemals fehlte in der Ehrenliste der Lieblinge unsrer Feinde der Name Hans Delbrück. Dieser ›größte Deutsche Geschichtschreiber‹, diese ›Zierde der Deutschen Wissenschaft‹, diese ›unfehlbare Stimme der Gerechtigkeit‹ (zu Gunsten der Feinde) wurde mit einem Ruhm überschüttet, wie Delbrück ihn in seinem undankbaren Vaterlande bis dahin nie geerntet hatte. Wörtlich wurden seine weisen Auseinandersetzungen wiedergegeben über die viel zu weit gehenden Forderungen Deutschlands – Deutschland hatte noch garnichts gefordert –, wörtlich seine väterlichen Mahnungen zur Mäßigung, seine rechthaberischen Rechtfertigungen der Vorwürfe der Feinde, sein Eintreten für die Unberührtheit der belgischen Selbständigkeit, überhaupt für alles, was die Siegesstimmung des Deutschen Volkes stören konnte. Delbrück war den ganzen Krieg hindurch der – scheinbar – bewunderte Liebling der Feinde, die einzige hohe Säule wahrer Deutscher Wissenschaft, der berühmten ›objektiven‹, die sich entsetzt, wenn einmal ein scharfes Wort gegen die Feinde ertönt.
Kummer hatte den Feinden Matthias Erzberger bereitet, aber nur im Anfang des Krieges, als er wie Harden in den höchsten Tönen für Deutschland gegen die Feinde eingetreten war. Da galt er diesen für einen Erzbösewicht, denn er hatte im ›Tag‹ mit der Überschrift ›Keine Empfindelei!‹ geschrieben: ›man solle doch nicht die Milde selbst sein, sondern die sprichwörtlich gewordene Gutmütigkeit des verschlafenen Michels abschütteln. Ein Erfinder tue not, der das Mittel entdecke, ganz London vom Erdboden wegzufegen.‹ Das war im August 1914 geschehen.
Es dauerte nicht lange, da riefen die Feinde: Kehre zurück, Matthias, an unsern liebenden Busen, dir ist alles verziehen; wir haben volles Vertrauen zu dir, du wirst das verruchte Deutschland gewiß vor dem Unheil eines Sieges über uns bewahren. Über keinen Bekehrten war so große Freude im Himmelreich der Feinde wie über Matthias Erzberger; er war, gegen Ende des Krieges stürmisch zunehmend, ihr Erzliebling und ist es geblieben bis zu dem Tage, wo er im Speisewagen zu Compiegne mit Foch den Waffenstillstand abschloß, den schimpflichsten, den je ein Volk der neuen Geschichte erlitten hat. Das taten uns die Magen und die Sippen!
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