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Wir spielten jüngst das unschuldige, geistreiche Gesellschaftsspiel ›Wenn ich reich wäre!‹, aber sehr reich, und da kein Protz mit seiner ›Mondäne‹ darunter war, so gab es sehr beachtenswerte Pläne der Reichtumsverwendung. Ich kenne leider zu wenig Millionäre, um anregend zu wirken. Als die Reihe an mich kam und man von einem alten Mann etwas völlig Abgeklärtes erwartete, sagte ich: Dann würde ich mir bei Tubergen in Haarlem ein Dutzend jeder Gattung seiner Lilien kaufen; dann würde ich zehn hoffnungsvolle junge Pflanzenforscher unter der Oberleitung von Camillo Schneider nach China, Tibet, Japan entsenden, die nur neue Lilien suchen müssen; dann würde ich in Bornim, das gute Lilienerde hat, eine Anstalt für Lilienforschung errichten; dann würde ich eine Versuchsanstalt für Lilienkreuzung gründen; dann würde ich –. Ich war noch lange nicht zu Ende, und die Gäste sahen ein, daß man für Lilien schon ein hübsches Stück Reichtum ausgeben könne. Und da es in Blumensachen nur den einen Leitsatz gibt: Das Eine tun, das Andre nicht lassen, und da es noch einige hundert andre ebenso unerläßliche Blumen gibt wie Lilien, so würde schon ein ziemlich großer Reichtum nötig sein, um sich in meinem Stil ein bißchen mit Blumen abzugeben.
Wer in Deutschland Lilien sagt, selbst die Dichter, der meint weiße Lilien, Madonnalilien. Natürlich sind sie schön – nichtschöne Lilien gibt es nicht –, und ein Garten ohne sie ist wie eine Kirche ohne Altar. Ein ganzes Beet mit blühenden Madonnalilien – wir haben eins – ist wie eine Schar kleiner weißer Mädelchen, die zur ersten Kommunion gehen. Diese Lilien muß der wahrhaft gesittete Mensch, also der Gartenmensch, unbedingt haben, und er hat sie. Läßt man solch Beet einige Jahre ungestört, gibt man ihm seine Nahrung – es ist nicht anspruchsvoll –, so kann man etwas erleben! Ich bin umgänglich und duldsam: bei mir verkehren Germanisten, ganz gebildete Menschen, sogar mit Kunsturteil, – denen stelle ich im Hochsommer vor unserm Madonnenlilienbeet die Frage: Nennet mir einen Epochanten der letzten 40 Jahre, der euch je einen so überwältigenden Schönheitsrausch bereitet hat! Die Frage wird nie beantwortet, auch nicht etwa: So darf man nicht fragen, oder: Man darf nicht vergleichen. – Ich aber sage: man soll sich selbst so fragen und man soll vergleichen, nicht wissenschaftlich wägend, sondern einfach sein Gefühl sprechenlassend; dieses wird sagen: Selbst der höchste geistige Genuß fließt nicht bloß aus den höchsten Werken der Kunst. Die Schönheiten der Natur sind ebenso geistig wie sinnenhaft.
Außer den ›weißen Lilien‹ kennt jeder noch solche, die ›Feuerlilien‹ heißen; damit hat die Lilienkunde bei den ganz Unwissenden, den Menschen ohne Garten, ein Ende. Es soll aber auch Gartenmenschen geben, die nur weiße und Feuerlilien kennen. Ich kann an solche Unwissenheit einer höheren Menschenklasse nicht glauben. Man lasse sich die Verzeichnisse unsrer größten Zucht- und Handelsgärtnereien schicken und lese, was für Lilien schon diese anbieten. Dann aber wende man sich an Herrn van Tubergen in Haarlem und staune, was dieser berühmteste aller Züchter an Lilien zur Verfügung stellt! Wer Mut hat, der lasse sich von der ›Nursery‹ in Jokohama ihr Lilienverzeichnis kommen und lese darin die Angaben der Größe der schönsten Lilien; sie klingen unglaubhaft, aber sie sind wahr: es gibt Zwiebeln von Lilium longiflorum mit einem Umfang von 14 englischen Zoll. Leider gehen noch keine Pakete aus Japan über die sibirische Bahn; man kann sich also die Zwiebeln der japanischen Wunderlilien nur als kleine ›Muster ohne Wert‹ schicken lassen, und selbst die kommen nicht immer unversehrt an. Von Zwiebelpaketen aus Japan um Indien herum ist abzuraten, die Verluste sind zu groß. Diese Verluste rechtfertigen die nicht billigen Preise der schönsten Lilien bei unsern großen Handelsgärtnern.
Ich gebe hier keine Abhandlung über die zahllosen Gattungen der Lilien, schon weil ich viel zu unwissend bin. Sich Lilienkunde zu erwerben, ist nicht leicht und nicht billig. Von der Goldbandlilie war die Rede (S. 352). Wer sie noch nie gesehen, der halte fein den Mund, wenn von der Schönheit auf Erden gesprochen wird. Wie wenn jemand über die äußersten Grenzen der Dichtkunst mitreden wollte, der weder Homer noch Hamlet noch Faust gelesen. Aber die Züchter in Japan haben sich mit diesem Goldbandwunder noch nicht genügen lassen: sie haben eine Steigerung hervorgebracht, die sie – es liest sich drollig in den englischen Verzeichnissen der Japaner – Lilium auratum platyphyllum (breitblättrige Goldbandlilie) nennen. Sie bedienen sich nämlich derselben lateinisch-griechischen Fachsprache, wie ihre europäischen Berufsgenossen
Über die zahlreichen Arten der riesenblumigen Lilien in Weiß, Weißpurpur, Kreß, Gelb spreche ich nicht, denn was hilft dem Leser das Sprechen von Herrlichkeiten, die er doch nur zu sehen bekommt, wenn er draufausgeht. Bei den Lilien fehlen die Farben blau und richtiges scharlachrot; aber auch die werden erzeugt werden. Lilienähnliche Gewächse in blau gibt es längst, doch sie stehen nicht unter den Lilien. – Nur eine Art möchte ich noch nennen, eine unterirdisch kriechende aus Kanada ( Lilium canadense). Ich war nicht wenig erstaunt, als ein paar Jahre nach der ersten Blüte in Entfernungen bis zu 1 Meter neue Lilienstengel emporstrebten und Blüten trugen.
»Hast du mein Leser eine Ahnung, wie hoch Lilien werden können? Genau weist ich's zwar auch nicht, denn mehr als ein Dutzend Arten kenne ich vom Augenschein her nicht. Eine ›Henry‹-Lilie aus Jokohama wurde im zweiten Jahr 2½ Meter hoch; aber ich lese in meinem großen Staudenbuch, daß sie bis zu 3 Meter emporwachsen. In den Himmel geht's auch bei ihnen nicht, denn der Stiel hat nicht die Kraft, sich aufrecht zu halten; er muß sich biegen, um nicht zu brechen, und bittet um einen Stab als Stütze.
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