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Über den Dichter steht, was ich zu sagen hatte, in zweien meiner Bücher, und ich verharre bei dem, was ich darin gesagt habe. Über den Menschen Sudermann haben selbst die Gegner bei seinem Tode einmütig bekannt, daß wir einen guten Mann begraben mußten. Ich habe nicht zu seinen vertrauten Freunden gehört, obwohl er mich mit dieser Anrede zu ehren pflegte; aber wir haben einander so nahe gestanden, daß ich über ihn mitsprechen darf. So hebe ich denn nur dies hervor: selbst seine gehässigsten Feinde, selbst der giftgeschwollene Harden, der bissige Kerr, der scheußliche Siegfried Jacobsohn haben nie ein Wort gegen den Menschen Sudermann zu sagen gewagt, weil es gegen den nichts zu sagen gab. Sie haben ihn begeifert, weil er ein sehr erfolgreicher Bühnendichter war und größere Einnahmen aus seinen Dichtungen hatte als sie aus ihren Schmähungen; ärger jedoch als ›Theatraliker‹ und ›Tantièmenschinder‹ haben selbst sie nicht zu schimpfen vermocht.
Über Sudermanns dramatische und erzählende Werke, über sein menschliches Wesen brauche ich hier nichts zu sagen, denn ich könnte dem, was jeder aus den Werken selbst erfahren kann, nichts Neues hinzufügen. Was ich zu sagen habe, betrifft das einschneidendste Ereignis in Sudermanns Leben, und darüber weiß ich mehr als die meisten Geschichtschreiber, die jünger sind als ich, und mehr, als die meisten Beteiligten, Betroffenen in ihren Aufsätzen zu Sudermanns 70. Geburtstag und zu seinem Tode zu sagen für gut fanden. Nur schamhaft verdunkelnd wurde von manchen bei jenen Gelegenheiten angedeutet, daß er einstmals, vor Jahren, eine kleine Häkelei mit der Presse gehabt habe, selbstverständlich dabei im Unrecht gewesen sei, und daß ihn von damalsher die Presse – dies Kind, kein Engel ist so rein – etwas strenger behandelt habe, als sie sonst in ihrer rühmlich bekannten Gerechtigkeit und Unfehlbarkeit gegen Theaterdichter zu handeln pflege. Irgendwo soll über jenes Ereignis die volle Wahrheit zu lesen sein, von einem, der es miterlebt hat und der es nicht bloß aus der abgeblaßten Erinnerung berichtet, sondern nach den in diesem Augenblick vor ihm liegenden Urkunden.
Gegen das Ende des 19. Jahrhunderts und im Anfang des 20sten, als Hauptmanns Ruhm seinen Gipfel erstiegen hatte, war der weitaus größte Teil der Theaterberichterschaft in den Händen von Schererschülern, denen es gelungen war, Hauptmann zum ›größten Dichter Deutschlands‹ auszuposaunen. Hauptmann war der einzige dramatische Dichter, der in Betracht kam; jedes neue Stück von ihm war eine neue Offenbarung; selbst über so unzweifelhaften Schund wie ›Schluck und Jau, Der rote Hahn, Der arme Heinrich‹ hatten Hauptmanns unentwegbare Ruhmesherolde ihre Fanfaren geblasen. Jeder andre nennenswerte Theaterdichter war vogelfrei, rechtlos, echtlos, wurde beschimpft, verleumdet, besudelt, und die Beschimpfer, Verleumder, Besudler galten für forsche, schneidige, scharfe Kunstrichter, die ausdrücklich bekundeten, daß die wahre Würde der Kunst einzig in ihre Hände gegeben sei. Allmächtig herrschten sie über die Bühnen Berlins, drüberhinaus über die Deutschlands. Sie hießen: Harden, Kerr, Heinrich Hart, Erich Schlaikjer, Conrad Alberti, Siegfried Jacobsohn und – Mauke. Ja auch der große Mauke war einer der unfehlbaren, selbstbewußten Richter über Leben und Tod des Deutschen Dramas jener Zeit. Wo ist Mauke? Ich suche Mauke, ich finde seine Spur nicht mehr.
Die Zeitungsleser hatten sich daran gewöhnt, nach jeder Neuaufführung die gemeinsten Pöbeleien über das Stück und seinen Dichter in der nächsten Nummer zu finden, und hatten sich diese Verluderung der Kunstsitten gefallen lassen. Was läßt sich der Zeitungsleser nicht gefallen? Kein Wort war und ist noch heute zu scharf für den damals herrschenden Zustand; ›roh‹ ist jedenfalls ein unwahres Schamwort. Doch als Einer es wagte, von der Verrohung der ›Theaterkritik‹ zu sprechen, da erhob sich in der Berlinischen, dann der Partei ergreifenden Deutschen, Presse ein Sturm der Empörung gegen jenen Einen, wie ihn die Geschichte des Deutschen Geisteslebens nur noch einmal verzeichnet hat: den durch Goethes und Schillers Xenien entfesselten. Hebbel hat über jenen berühmten Kampf zwischen Größe und Gemeinheit das Xenion gedichtet:
Doch was bewies der Spektakel? Nichts weiter, als daß das Gelichter
Noch viel kläglicher war, als es die Beiden gemalt!
Genau so ging es zu, als der Eine in Berlin aufstand und gegen die Vielen seine Anklage schleuderte. – ›Doch ich will nicht vorgreifen.‹
Der Eine, der den Heldenmut, den Todesmut hatte – ›man sagte, er wollte sterben‹ –, gegen die Bande vorzugehen, war Hermann Sudermann. Er hat versichert und bewiesen, daß er es nicht tat, um eigne erlittene Unbill zu rächen, sondern aus dem sittlichen Heldentum, das, jammervoll zu sagen, in Deutschland seltner ist als in manchen andern Ländern. Bismarck hat dafür das Fremdwort ›Zivilkurasche‹ geprägt, vielleicht nur einen Offiziersausdruck angewandt; er hat nie bedacht, daß wenige Menschen so sehr dazu beigetragen haben, den Deutschen Bürgermut abzutöten, wie grade er. Der Mut des sittlichen Pflichtbewusstseins kann nur wachsen aus dem Boden der Bürgerfreiheit; ein seit Jahrhunderten von der Polizei gehudeltes Volk von ›Zivilisten‹ hat es schwer, ›Kurasche‹ zu pflegen. Bismarck hat für den Mangel an staatlicher Erziehungskunst selbst büßen müssen: Hunderttausende von Zivilisten haben im März 1890 gegen seine Entlassung und gegen die Art, wie sie geschah, tiefe innere Entrüstung empfunden, aber nicht die Zivilkurasche aufgebracht, Wilhelm dem Zweiten zu sagen: So jagt man den Begründer des Deutschen Reiches nicht von dannen. Die Entrüstung war stark, echt, aber – innen. Doch ich will nicht abschweifen.
Hermann Sudermann, der tapfre Ostpreuße und aufrechte Ehrenmann, wollte den schmachvollen Zustand aufdecken und dadurch beseitigen helfen, daß die Berliner Theaterberichte überwiegend Schmutzkübel waren, deren Inhalt über den jeweiligen Bühnendichter ausgeschüttet wurde. War das gestrige Stück schwach gewesen, so war der Dichter in den Augen der Berichter ein völlig verblödeter Trottel, der es eigens darauf abgesehen, die großen Heroen von der Kritik zu beleidigen, indem er sie zwang, ihren sonst nur der erhabensten Kunst geweihten Abend an solche Stümperei zu vergeuden. Man müsse sich solche Unverschämtheit eines weltbekannten Schmierers verbitten, sonst werde man ein ernstes Wort mit ihm sprechen. – War das Stück gutmittel, leidlich, hier und da nicht übel, so erscholl das Geheul über die platte Mittelmäßigkeit der schalen Köpfe, die die Heiligkeit der dramatischen Muse mit Füßen träten. Hatte nun gar ein Stück, besonders ein heiteres, den jubelnden Beifall der Zuschauer hervorgerufen, etwa Fuldas ›Talisman‹, Dreyers ›Probekandidat‹, so höhnten die edlen Kunstrichter über solche Entweihung der hohen Kunst, beschimpften den Dichter als ›Theaterspekulanten, Kulissenreißer, Macher (lieber noch: Faiseur), Tantièmenschinder‹.
Nämlich die Tantièmen eines erfolgreichen Theaterdichters, die waren es, die die Wut der Berichtsgewaltner in den Zeitungen entfachten. Da drohte die Gefahr, daß so ein gemeiner dummer Kerl wie Fulda, Dreyer, Otto Ernst, Hartleben, Halbe, Ludermann mit seinem neuen bejubelten Stück Tonnen Goldes einscheffelte, während sie, die Hüter der heiligsten Güter der Kunst, sie die Kritiker, man denke, die Unfehlbaren, die am Tage nach der Aufführung zu Halbdeutschland sprachen, nur einen Bettelpfennig für ihre klassischen Kunsturteile bekamen. Darum also das Gerase gegen den Tantièmenschlucker. – Ich erfinde nichts, ich übertreibe nicht, – ich habe die Urkunden vor mir.
Jahrelang war das so gegangen, immer höher stieg die stinkende Schlammflut des Unflats. Die paar anständigen Zeitungen mit ihren anständigen Berichtern wurden mehr und mehr in den Schlamm hineingedrängt: die Zeitungsleser fanden die anständigen Berichte langweilig, denn sie lasen daneben die unanständigen in andern Zeitungen. Die Gemeinheit der Berichter steckte die Leser an.
Da – ich erinnere mich deutlich des Novembertages 1902 – da erschien in der Abendausgabe des Berliner Tageblatts der erste Aufsatz einer Reihe: ›Die Verrohung der Theaterkritik‹, von Hermann Sudermann. Mein erster Eindruck beim Blick auf die unfaßbare, die unerhörte, die tollkühne Überschrift war: Sudermann ist verloren, das verzeiht ihm die Presse, dieser allmächtige Teil der Presse nie. Ich kannte diese Menschen, kannte ihre Eitelkeit, ihren Unfehlbarkeitsdünkel, ihre Rachsucht. Es gab unter ihnen ein paar Männer mit sonst anständiger Gesinnung, es gab sogar gütige, hilfreiche Kameraden darunter; nur ihr Allmachtskitzel durfte nicht gekränkt werden. Wer das wagte, der war vogelfrei: Wir jagen ihn bis zu den Schatten und geben ihn auch dort nicht frei. Das aber hatte Sudermann gewagt –: fürwahr, er wollte sterben.
Wer sich über jenes literaturgeschichtlich wichtige Ereignis gründlich belehren will, der opfere 60 Pfennig und kaufe sich den Sammeldruck jener Aufsätze, es sind fünf, der bei Cotta erschienen ist; ich gebe daraus nur einige Pröbchen. Erst wenn man das ganze Heft mit seinen 56 Seiten gelesen hat, begreift man den Haß, womit die Meute den Verfasser Jahrzehnte hindurch verfolgt hat. Das Urteil über Sudermann in fast allen Literaturgeschichten, auch in solchen, deren Verfasser das garnicht wissen, ruht auf dem Wutgeheul, das durch jene fünf Tageblatt-Aufsätze in fünf aufeinander folgenden Wochen entfesselt wurde. ›Aretinos‹ hatte Sudermann Schriftsteller genannt, die sich für Weltgrößen hielten; Aretinos – nach dem schändlichen Beschimpfer und Verleumder im 16. Jahrhundert, wohl dem nichtswürdigsten Menschen, der je im öffentlichen Leben die Feder geführt. Das klingt ungeheuerlich, aber die von Sudermann dargebotenen Beweise waren schlagend, unwidersprechlich, – um so lodernder der Zorn und die Rachsucht der mit Namen benannten.
Da war jener Conrad Alberti, der selbst nichts Dichterisches leistete, sich aber zum Höchsten berufen dünkte und jeden Lebenden beschimpfte, der etwas konnte. Er fiel selbst den andern Schimpfern auf die Nerven, aber zu unterdrücken war er nicht, denn ihm stand eine große Zeitung zu Gebot, die solche ›Scharfschreiber‹ brauchte. Der ließ drucken, daß Josef Kainz ›seine Beliebtheit den saftigen Beafsteaks und den verschwenderischen Liebesblicken verdankte, die von dessen Gattin freundwilligen Rezensenten verabreicht worden.‹ Kainz war ohnmächtig gegen solche Büberei, denn sie wurde unter dem Schutz Deutscher Gerichte begangen. Vor einem englischen Gericht wäre der Bube ein für den Rest seines Lebens verlorener Mensch gewesen.
Erich Schlaikjer, ein mehrfach durchgefallener Stümper in Theaterstücken, rächte sich an dem erfolgreichen Oskar Blumenthal, der ihm weiter nichts zuleide getan, als Erfolg zu haben, und schrieb: ›Man sagt, daß Geld nicht riecht, aber das Sprichwort muß erlogen sein. Blumenthals Tantiemen stinken zum Himmel.‹ Da haben wir das ewige Ärgernis: die Tantièmen – des Erfolgreichen.
Selbst Heinrich Hart, sonst ein anständiger Mensch, schrieb, verführt durch den allgemeinen Sauherdenton, einmal über ein harmloses Fuldasches Lustspiel: ›Es ist nicht ganz unbedenklich, wenn Dramatiker, gequält von bohrenden Zahnschmerzen, oder im Bann eines frischen Ehezwists sich hinsetzen und ein Lustspiel zu Papier bringen.‹ Fuldas Zahnschmerzen und Ehezwist werden in derselben Besprechung ebenso geistreich noch einmal herangezogen. Nach dem Erscheinen der Anklage Sudermanns schämte sich Hart und erklärte, daß die Zahnschmerzen und der Ehezwist ›rein symbolisch‹ gemeint waren; leider hat er nicht zugleich erklärt, was ›symbolisch‹ sei. Man kommt zu dem Wunsch, es möchte für manche Gesellen auch ›symbolische‹ Ohrfeigen geben, aber knallen und wirken müßten sie ebenso wie die ›virtuellen‹.
Ein sichrer Wrede – wo ist Wrede? – schreibt über eine Gestalt in Frau Rosmers ›Tedeum‹, daß der ›Abschied von den galanten Schweinereien des Junggesellenlebens (des Helden) ein dauernder sein müsse. Vielleicht ist der edle Mann mehr unkünstlerisch als unrichtig gezeichnet. Die Verfasserin muß es ja wissen.‹ Frau Rosmers Gatte, der Rechtsanwalt Max Bernstein, hat gewußt, daß Deutsche Gerichte die Ehre einer beleidigten Frau nicht schützen oder sie, im äußersten Fall, auf 50 Mark schätzen.
Über Eleonora Duse gießt Alfred Kerr seinen Kübel aus: ›Ihre Gesellschaft gab das Stück (d'Annunzios ›Gioconda‹) noch schlechter … Aber das war ein Racheakt der Künstlerin gegen den untreuen und schwatzhaften Liebhaber‹ – und nach einigen Wochen abermals: ›Sie (die Duse) spielte auch die Gioconda glatt herunter, modern, ihrem Buhlen zum Trotz.‹ Etwa 20 Jahre vorher war ein Lump, der über eine große Berliner Sängerin ähnlich geschrieben, von ihrem Gatten mit der Reitpeitsche gezüchtigt worden – zur Freude aller anständiger Menschen. Die Reitpeitsche war gewählt worden, weil der Gatte wußte, daß es für die beleidigte Ehre einer Künstlerin keine Richter in Berlin gab.
Siegfried Jacobsohn schrieb mit 21 Jahren die gemeinsten Schimpfereien gegen alle Berliner Theater, alle ihre Künstler, alle ihre Dramendichter: ›Wenn Herr Brahm Geld am Wege liegen sieht, dann stachelt er seinen Klepper. Seine Praktiken kann man nur noch als ästhetischen Bauernfang bezeichnen … Georg Engel ist ein dickfelliger Bühnenspekulant … Der Schaufensterhistrione Bonn … ein dramatischer Hochstapler.‹ Über die große Schauspielerin Buska, die Gattin Angelo Neumanns, als Minna von Barnhelm: ›Diese Mumie, die alle Dünste der Leichenkammer aushauchte.‹ Der junge Strolch bekam einmal wegen seiner Anwürfe gegen eine Künstlerin Prügel, doch was schierte ihn das? Er wußte, daß ihn außer gelegentlichen, leicht abgeschüttelten Prügeln keine Strafe treffen könne, daß kein Theaterleiter wagen würde, ihm sein Haus zu verbieten, und hätte man ihm vom Richter gesprochen, so hätte er frech gegrinst: ›Es kann mir nix gschehn.‹ – Zwei Jahre drauf bestahl Jacobsohn einen Schriftsteller: er schrieb ein paar Seiten wörtlich von ihm ab, und als der Diebstahl – ›Plagiat‹: sagt man, weil das gestohlene fremde Wort immer feiner ist als das ehrliche Deutsche –, als der Diebstahl entdeckt wurde, rechtfertigte sich der Vielversprechende: er müsse an einem kranken Gedächtnis leiden, er habe das Abgeschriebene beim früheren Lesen so treu bewahrt, daß er es für sein geistiges Eigentum gehalten. Die Zeitung, für die er geschrieben und gestohlen, mußte ihn – mit Kummer, für ein Weilchen – entlassen. Ich darf erwähnen: als in der Berliner Schriftstellerwelt ob jenes Diebstahls eine sogenannte sittliche Entrüstung ausbrach, legte ich mich aufs billige Profezeien: Kinder, regt euch nicht auf, nach zwei Jahren ist Held Siegfried wieder obenauf, und ihr habt alles vergessen: Siegfried, kehre zurück, dir ist alles verziehen. Und er kehrte zurück, nach weniger als zwei Jahren, und er schrieb weiter, berichtete fortan über Kunst, ohne zu stehlen, und er schrieb noch beinah ein Menschenalter, über Kunst, über Freiheit, sogar über Ehre.
So sah die Welt der Berliner Theaterkritik aus, gegen die Sudermann seine Anklagen richtete. Er sprach nur von ›Verrohung‹; ich war stets der Ansicht und habe sie drucken lassen, daß der Ausdruck zu milde war. Jedoch zu milde oder zu streng, – die Wirkung wäre dieselbe gewesen: Wut und Haß bis zur Vernichtung. In der vierten Woche schrieb Sudermann im Eingang zu seinem vierten Aufsatz, einer Rückschau auf seine Beispiele: ›Ich sah selbstverständlich voraus, daß von Seiten der Angegriffenen (? – Angeklagten!) und deren Gesinnungsgenossen Schmutz und Schmähungen in Massen über mich ausgegossen werden würden. Ich bin daher gänzlich unempfindlich gegen Verdrehungen, Lästerungen und Herabwürdigungen aller Art und nehme die Schimpfworte, die man mir spendet, mit Seelenruhe in Empfang.‹ Er hatte durchaus nicht vorausgesehen, was ihm bevorstand, und mit der Zeit schwand auch seine Seelenruhe. Mit Schimpfworten begnügten sich die Berufsschimpfer nicht, – den Dichter, den Mann, das Werk galt es zu vernichten. Es ist ihnen nicht ganz gelungen, aber – beinah. Daß Sudermann aufrecht blieb, weiter schuf, nicht, wie einst Grillparzer unter den, ach vergleichsweise so sanften, Schmähungen des witzelnden Lumpen Saphir, dichterisch erlahmte, – es grenzt ans Wunder. Er ist als Sieger gestorben, aber als ein aus Todeswunden blutender. Leser, der du in Literaturgeschichten den Abschnitt über Sudermann liest und auf Herabwürdigungen stößt – das wird dir in fast allen widerfahren –, laß dir sagen von Einem, der es weiß, weil ers ›mit seinen Augen sah‹: was du da liest, das ist das Nachsprechen dessen, was vor einem Menschenalter als der Vernichtungsruf gegen den tapfern Mann ausgegeben wurde, der gegen eine schmutzige Schande im Deutschen Geistesleben aufzutreten gewagt hatte.
Schon Sudermann frug, ob es denn kein Mittel gegen das Gelichter gäbe. Es gab und es gibt keins, denn: ›Nicht einmal für persönliche, juristisch faßbare Beleidigungen darf er (der Dichter), wenn er gut beraten ist, versuchen, sich Genugtuung zu schaffen. Die Lumperei von fünf bis fünfzig Mark, zu welcher das Blatt (?) im günstigsten Falle verurteilt wird, trägt als Geschäftsunkosten der Verlag.‹ Sudermann sah als selbstverständlich an, daß den Schreiber der Beschimpfungen selbst keine Strafe treffen würde, und – er hatte Recht. In England und Frankreich wären Schurkenstreiche wie die von Sudermann urkundlich erwiesenen unmöglich, nicht weil es in jenen Ländern nicht auch Schurken gibt, sondern weil dort Gefühl für die Ehre des Bürgers herrscht, ein durch strenge Richter anerzogenes Gefühl. Wenn ein Berliner Gericht sich mit dem Rechtssinn eines Londoner Gerichtshofes hätte erfüllen können und einen der Berufsschimpfer zu einem Jahr Zuchthaus (› hard labor‹ in England) und 30+000 Mark Buße wegen Verleumdung (› libel‹ in England) verurteilt hätte, das wäre das Mittel gewesen. Freilich hätte dem so Bestraften und seinen Genossen der ganze Beruf keinen Spaß mehr gemacht.
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