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Vom Bacon-Schwindel

Er ist gottlob im Absterben, kann als abgetan gelten: ein Schwindel, der durch keine neue Tatsache neue Nahrung erhält, stirbt ab, und neue Tatsachen gibt es für den Bacon-Schwindel so wenig wie alte. Was es mit dem Gefasel von Bacons Verfasserschaft der Dramen Shakespeares in Wirklichkeit auf sich hat, ist von mehr als einem Gelehrten überzeugend – aber nicht für unbelehrbare, unwissende Schafsköpfe – nachgewiesen worden. In meinen ›Shakespeare-Rätseln‹ habe auch ich einiges darüber gesagt. Die kleine Geschichte, die ich hier erzähle, enthält wohl das stärkste Stück aus der Geschichte jenes Schwindels: den Bericht über eine nichtswürdige Fälschung, begangen zu Ehren Bacons, eine Fälschung so dumm, so plump – nun etwa wie der Hauser-Schwindel; aber nicht zu dumm, zu plump für die Dummen, die nicht alle werden. Es ist die Fälschung, durch die der Bacon-Rummel in Deutschland erzeugt wurde, und die aufzudecken ein freundliches Geschick mir vorbehalten hatte. Warum mir? Ich staune immer wieder, wie wundersam die Fäden der Menschenschicksale verwoben sind.

Da lebte in den 80er Jahren in England eine Frau, die keine Ahnung hatte von meinem Dasein, so wenig wie ich von dem ihrigen; diese Frau beging eine verschmitzte Fälschung, um einen Andern als Shakespeare zum Verfasser von ›Romeo und Julia‹ zu machen, und die Gelehrtenwelt in England fiel darauf hinein, die in Deutschland wurde verwirrt, die der Deutschen Mitläufer verdreht, – und ich, der ich mich bis dahin keineswegs tief in die Wissenschaft von Shakespeare versenkt hatte, ich sollte jener Fälschung auf die Spur kommen und die Fälscherin vor aller Welt entlarven! Ich wundre mich noch heute darüber.

Die Geschichte aber, die ich hier berichte, spielt 20 Jahre später, – da trug mir meine Aufdeckung jenes Betruges Früchte, und das ging so zu. Im Sommer 1903 hatte ich ein paar Tage auf der Insel Wight zugebracht und wollte über Portsmouth und London heimkehren. In Cowes kaufte ich die Dampferkarte nach Portsmouth, das Schiff fuhr um 6½, ich war pünktlich am Kai. Ein vollbesetzter Dampfer kam von Westen heran; ich frug: nach Portsmouth? – Ja, Herr! – Ich stieg ein, hatte nur gesehen, daß Soldaten mitfuhren; man hatte mich nicht nach der Karte gefragt, mich nicht angehalten, – der Dampfer fuhr ab.

Ich fand, nicht ohne einiges Suchen, einen Sitzplatz, sah mich um: merkwürdig, ich fast zwischen lauter englischen Offizieren, die fast Alle Orden oder Denkzeichen aus dem Burenkriege auf der Brust trugen. Auch sonst Soldaten, nur Soldaten. Seltsam, ich kam mir verirrt vor, aber die Hauptsache stimmte: der Dampfer zog in schneller Fahrt nordwärts, gen Portsmouth. Zur Sicherheit frug ich einen der Offiziere: Fährt dieser Dampfer wirklich nach Portsmouth? – Gewiß.

Ich suchte nach Mitreisenden in bürgerlicher Tracht, – es gab keine, ich war der Einzige. Da kam ein Befremden über mich: ich war auf ein Schiff geraten, auf das ich nicht gehörte; aber weder von der Schiffsmannschaft noch von den Offizieren frug mich einer, mit welchem Recht ich dieses Schiff betreten hätte? Ich übersetzte mir meine Lage ins Preußische, sah mich inmitten des Offiziercorps eines Potsdamer Gardekavallerieregiments ohne einen einzigen Konzessionsschulze als eingedrungenen gemeinen Zivilisten. Ich dachte den Gedanken nicht zu Ende, er war zu fürchterlich.

Die Offiziere hatten längst begriffen, durch welchen harmlosen Irrtum ich auf ihr Schiff geraten war, und nahmen nicht den geringsten Anstoß. Es war in der Tat ihr Schiff: sie hatten es für einen Tag gemietet, um ihren Soldaten eine gesunde Abkühlung von der Bärenhitze zu verschaffen, die in jenen Julitagen an der englischen Südküste herrschte, und jetzt fuhren sie zurück nach Portsmouth. Daß ich zufällig mitfuhr, war ganz in der Ordnung.

Ich las den Daily Telegraph, die Offiziere plauderten angeregt von Dingen, die mich nichts angingen, – da hörte ich plötzlich: Shakespeare und das Wort › Hoax‹ (Ulk, Schwindel), dann die Namen Bacon und Mrs. Pott. Ein sehr junger Offizier hatte sie gesprochen, sie waren an mein Ohr gedrungen, sie zwangen mich, aufzublicken, mir den Sprecher anzusehen. Ich lauschte: am häufigsten erklang der Name der Mrs. Pott. Nicht sogleich, aber nach einigen Minuten durchzuckte es mich: Das ist ja meine Mrs. Pott, und die sprachen ja von dem, was mich 20 Jahre zuvor so leidenschaftlich erregt hatte. Die Zeitung sank auf meine Kniee, ich lauschte gespannt und begriff: Mrs. Pott war gestorben, oder 70 Jahre alt geworden, oder es war sonst etwas mit ihr vorgegangen, und bei der Gelegenheit hatte die englische Presse von ihrem Anstoß zu dem Bacon- Hoax gesprochen, und der junge Offizier, ein Oxford-Mann, hatte sie erwähnt. Ich erfaßte den Stand der Meinungen: die älteren Offiziere waren zweifelhaft; sie hatten so oft von Bacon etwas gelesen, daß sie glaubten: etwas wird wohl daran sein. Der junge Offizier wußte Bescheid, hatte gute Schriften darüber gelesen, darunter die der englischen Shakespeare-Gesellschaft, und gebrauchte das Wort Fraud (Betrug). Und dann kam ›das Wunderbare‹: er sagte, ein Deutscher habe den Kern des Betruges aufgedeckt, das habe er im ›Spectator‹ gelesen, eine richtige Fälschung: Mrs. Pott habe in eine angebliche Bacon-Handschrift den Vermerk › Romeo‹ hineingefälscht, und das habe ein Deutscher Gelehrter schon vor langer Zeit aufgedeckt, aber es sei erst jetzt in England bekannt geworden, auch durch einen Deutschen, einen Dr. Oswald.

Es wurde mir sehr schwer, mich hierzu schweigend zu verhalten; doch ich tat es, um mehr zu hören und ein Recht zur Einmischung in das Gespräch zu gewinnen. Die Tatsache, daß eine Fälschung begangen worden, von einer Engländerin, daß dadurch der Bacon-Schwindel erzeugt sei, regte die Herren stark auf. Der junge Offizier war der Gelehrte unter ihnen; er kam auf den hineingefälschten › Romeo‹ zurück, bemerkte wiederholt: ›Warum hat man das nicht sogleich in England untersucht, warum mußte ein Deutscher das aufdecken?‹

Ich hielt mich nicht länger: ›Ich bitte die Herren sehr um Entschuldigung, daß ich, ein Fremder, wage, mich in Ihr Gespräch zu mischen; aber ich bin seltsamer Weise im Stande, die Frage dieses Herrn zu beantworten.‹

Die Herren sahen mich ein wenig betreten an, dann sagte ein älterer Offizier, wohl der Oberst, sehr höflich: ›Das ist ja › highly interesting‹, bitte!‹

›Ich bin ein Deutscher Gelehrter ( scholar), habe mich mit Shakespeare und Bacon beschäftigt, über den Bacon- Hoax geschrieben und kenne die Fälschung der Mrs. Pott. Darf ich erzählen?‹

Eifrige Zustimmung aller Herren, ich war der Mittelpunkt der Unterhaltung geworden und sprach: Im Jahr 1883, als ich an einer Geschichte der englischen Literatur arbeitete, erschien das Buch der Mrs. Pott, mit dem Titel ›Promus‹. – Richtig, sagte der junge Offizier, Sie kennen es? – Ich habe es damals sogleich durchgearbeitet, denn in Deutschland waren in großen Zeitungen Aufsätze erschienen, worin behauptet wurde, Mrs. Pott habe den urkundlichen Beweis erbracht, daß Bacon der Verfasser von ›Romeo und Julia‹, demnach wohl von allen Dramen Shakespeares gewesen. Der ›Promus‹ der Frau Pott war angeblich der wörtlich genaue Abdruck des Taschenbuches oder Merkheftes des Lord Francis Bacon, worin er sich alles aufgeschrieben, was er für seine Stücke gebrauchen wollte. Mitteninne siehe das Wort › Romeo‹, also könne kein Zweifel an Bacons Verfasserschaft walten. So berichteten damals die Deutschen Zeitungen. Ich las das Buch der Frau Pott und stellte fest: es enthielt hunderte von englischen Redewendungen, Grußformeln wie ›Guten Morgen, Guten Abend‹, Dutzende von lateinischen Sprüchen aus alten Dichtern und Prosaschreibern, doch nicht einen Gedanken, nicht einen Satz, nicht ein Wort, das zwingend auf eine Stelle bei Shakespeare hindeutete. Allerdings stand auf einer Seite, unvermittelt, ohne Zusammenhang das Wort › Romeo‹; doch was bewies dieses Wort, selbst wenn es echt war, was zu bezweifeln mir damals nicht in den Sinn kam? Der Mensch, dem dieses Merkbuch, diese Kladde gehört hatte, konnte den ihm seltsam klingenden Namen › Romeo‹ vom Londoner Theater her vernommen und um der Merkwürdigkeit willen aufgezeichnet haben. Das Vorangehende in derselben Schreibzeile hatte keinen Bezug darauf, war ein sinnloser lateinischer Spruch, endete mit einem Punkt; dann folgte in neuer eigner Zeile: › Romeo‹. Ich schrieb über den ›Promus‹, er sei offenbar das Merkheft eines Schülers, vielleicht eines Eton boy aus dem 16. oder 17. Jahrhundert, habe aber mit Shakespeare garnichts zu tun. Was es mit dem Worte › Romeo‹ auf sich habe, müsse an Ort und Stelle geprüft werden. Und das habe ich bald darauf getan.

Meine Zuhörer waren aufs höchste gespannt, es war ja in jeder Hinsicht eine englische Angelegenheit. – Zur Vollendung meiner Englischen Literaturgeschichte reiste ich im Sommer 1883 nach London, ging ins Britische Museum und bat schon beim ersten Besuch den Leiter Herrn Richard Garnett – ›o den kennen wir, – einer der älteren Offiziere sagte: Ich bin mit ihm verwandt‹ –, er möge mir die Handschrift des berühmten ›Promus‹ von der angeblichen Hand Bacons geben und mir den besondern befallen tun – wir kannten uns von früherher –, sich an der Handschriftenvergleichung, etwa mit echten Briefen Bacons, zu beteiligen. Begeistert erklärte er sich bereit, zog noch einen seiner Gehilfen, ich denke Herrn Anderson, hinzu, und wir verglichen. Sofort stellten wir lachend fest, daß Bacons echte Briefe nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit der Schrift des Promus hatten; stellten fest, daß es sich in der Tat unzweifelhaft um das Schmierheft eines Lateinschülers aus dem 16. oder 17. Jahrhundert handelte; und dann suchten wir die Stelle mit dem geheimnisvollen › Romeo‹. Da aber gerieten wir in ein Gemisch aus Zorn und Heiterkeit: da sahen wir die schamlose Fälschung der Frau Pott mit unsern entsetzten Augen; da stand in lateinischer Schönschrift unzweideutig, sodaß ein Kind von 10 Jahren keinen Buchstaben anders lesen konnte: Puer, surge mane, sed noli surgere vane. Ein gereimtes lateinisches Schülersprüchlein, das besagt: ›Knabe, steh früh auf, steh aber nicht vergebens auf.‹ Hieraus hatte die Fälscherin Pott in ihrem gedruckten Promus gemacht: Puer, surge mane, sed noli surgere. Romeo. Ihre Fälschungen waren dreifach: aus einer Zeile hatte sie zwei gemacht, der Punkt hinter surgere war eine Fälschung; › Romeo‹ als besondere Zeile war gefälscht, Romeo statt vane eine freche bewußte Fälschung zu ihrem obenauf liegenden Zweck. Dem Promus der Pott – die Offiziere nannten sie nur noch › that Pott woman‹ – war die schwülstige Vorrede eines Londoner College-Leiters beigegeben, worin er ihr fabelhaftes Wissen, ihre Sprachkenntnisse, ihren redlichen Fleiß und noch manche andre Tugenden übern grünen Klee rühmte. – Diese Entdeckung habe ich im Deutschen Shakespeare-Jahrbuch für 1885 veröffentlicht, von dort ist sie in englische Schriften übergegangen, ihr verdanke ich das Vergnügen unsrer Unterhaltung.

Was für Freundlichkeiten mir die Offiziere nach meinem Bericht gesagt, weiß ich nicht mehr, es gehört auch nicht hierher; eine sehr schöne Erinnerung aber trage ich bis heute davon. Ich habe den Namen des jungen Offiziers, aus einem der ältesten Adelshäuser, behalten; sollte er nicht im Weltkriege gefallen sein und sollte er, gegen alle Wahrscheinlichkeit, Kenntnis von diesem Buch und diesem Abschnitt erhalten, so lese er auch hier meinen sehr herzlichen Gruß.

*

Ich kann nicht umhin, hieran, als Nachwort zu den drei Geschichten von weltberühmtem Schwindel, tollem Irrtum, dreistem Betrug eine Bemerkung zu knüpfen, die sich mir jetzt, bei meiner Rückschau auf nahezu ein halbes Jahrhundert, aufdrängt: Warum in aller Welt mußte ich es sein, der die Wahrheit in den Fällen Hauser, Ithaka, Bacon aufdeckte? Dazu gab es in jedem Fall Berufene, sogar Auserwählte, und ich war keins von beiden. Warum hat nicht das badische Großherzogshaus den ihm angehefteten Schandfleck mit dem beseitigten Kronprinzen durch eine Offenlegung aller Beweisstücke ausgetilgt? Es brauchte nichts zu fürchten, alles war in Ordnung, es fehlte nicht der kleinste Prinz; aber man hat ein Jahrhundert geschwiegen, vertuscht, gehen lassen. Die Folge ist, daß noch jüngst, noch heute in großen Deutschen Zeitungen der Ekel erregende alte Kohl von dem beiseite geschafften Kronprinzen Kaspar aufgewärmt wird, natürlich aus völliger Unkenntnis, gemischt mit böswilliger Freude an der geheimnisvoll tuenden Verleumdung?

Und warum mußte ich nach Ithaka und Lewkas fahren und den Unsinn Dörpfelds als Unsinn erweisen? Bin ich der beamtete Vertreter der Wissenschaft von Homer? Es gab einen, der dazu berufen, ja verpflichtet war: den Professor Ulrich von Wilarnowitz-Möllendorff an der Berliner Universität, der dreimal in Griechenland war, der aber, da ich seinen Lebenserinnerungen glauben muß, Ithaka nicht besucht hat. Freilich, er hat dem Kaiser Wilhelm dem Zweiten die richtige Antwort auf dessen Frage über Ithaka und Lewkas erteilt; aber warum mußten wir das erst nach mehr als 20 Jahren erfahren? Warum hat er sein Urteil über Dörpfelds Ausgrabungen und Phantastereien nicht der ganzen gebildeten Welt auf frischer Tat mitgeteilt? Warum mußte ich das besorgen – auf die Gefahr einer kaiserlichen Kopfwäsche? Warum eigentlich?

Na und was die Fälschung des ›Pott-Weibes‹ betrifft, womit der Bacon-Blödsinn in Deutschland anhub: gab es nicht an jeder Deutschen Universität einen ordentlichen Professor der ›Anglistik‹, daneben ein Dutzend außerordentliche, die – halten zu Gnaden, aber so denke ich – die Berufs- und Amtspflicht hatten, zu untersuchen, ob wirklich in einem Werkhefte Bacons › Romeo‹ geschrieben stand? Das war doch wichtig genug, um nachgeprüft zu werden, zumal wenn man von der Wissenschaft lebt. Ich wurde nicht von ihr besoldet, ich lebte nicht von ihr, sondern für sie, also ging mich die Sache eigentlich garnichts an, nicht wahr?

Kommt man in etwas reifere Jahre, ich jetzt in mein 78stes, so denkt man über solche Fragen des eignen Lebens nach. Ich denke, es waren lauter Dummheiten von mir, Aufgaben zu übernehmen, die Andern zufielen. – Wie ich aber noch ein bißchen tiefer nachdenke, kommt mir doch das Gefühl: Wenn es noch einmal vor mir stünde, Gewiß ich tät' es noch einmal.

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