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Prinz Max von Baden (1867-1929)

Daß die Welt schnell vergißt, ist nichts Neues; erstaunlich aber bleibt, wie schnell höchstgebildete Menschen das vergessen, was sie einst tagelang im Tiefsten bewegt hat. Ich mache jetzt, nur zehn Jahre nach dem Ende des Weltkrieges, fast täglich die Erfahrung, daß selbst politische Menschen, oder doch eifrige Zeitungsleser, ja die eifrigsten zumeist, entscheidende Ereignisse und bestimmende Äußerungen spurlos vergessen haben.

Ein Bild des letzten kaiserlichen Reichskanzlers zu geben, versuche ich nicht; es würde nicht lohnen. Ich begnüge mich mit drei urkundlichen Tatsachen, die den Mann und sein Werk vollkommen kennzeichnen; alle drei sind natürlich längst vergessen.

Im Februar 1917 erschloß Max von Baden dem Leiter des Wolffschen Telegrafenbüros sein großes, für die ganze Menschheit, besonders die uns feindliche, schlagendes Herz. Man lausche: ›Deutschland soll es getrost (!) bekennen, daß es das Glück und das Recht andrer Völker in seinen nationalen (!) Willen aufnimmt.‹ Nichts Wichtigeres hatte Deutschland grade damals zu tun! Bekanntlich hatte Deutschland von jeher das Glück andrer Völker zerstört und das Recht andrer Völker mit Füßen getreten; jetzt aber forderte der nationale Wille, grade der nationale, daß wir das Glück und das Recht aller Andern in ihn aufnahmen. Das sprach jener Prinz aus dem Monde in der Zeit, als Clemenceau und Lloyd George uns täglich mit Vernichtung bedrohten, als Wilson die Beziehungen zu Deutschland abgebrochen hatte, weil wir nicht ruhig zusehen wollten, wie Amerika sein Glück und sein Recht darin fand, unsern Feinden alles zu liefern, was sie zu unsrer Vernichtung brauchten; als die gesamte Feindespresse uns täglich zukreischte, wie viel Deutsches Land zum Glück andrer Völker von Deutschlands Leibe losgerissen, und wie Deutschlands Recht, zu leben, vernichtet werden sollte; wie viel hundert Milliarden es obendrein an die andern Völker zahlen müsse. Es war ein herziger Prinz aus Genieland. – Was für ein Volk sind wir Deutsche: kein Mensch, soweit ich umfrage, hat noch eine Ahnung, daß ein Deutscher Reichskanzler solch einen Satz je gesprochen hat.

Die zweite ›menschliche Urkunde‹ für jenen Reichskanzler, die der Nachwelt aufbewahrt werden muß, ist seine Reichstagsrede vom 22.10.1918. Sie ist die furchtbarste, die je im Reichstagssaal gehalten worden. Zwei Sätze daraus schreibe ich ab, um zu zeigen, wessen ein Deutscher Fürstensohn und Deutscher Reichskanzler fähig war: ›Wenn wir eingesehen haben, daß der Sinn dieses furchtbaren Krieges vor allem der Sieg der Rechtsidee [also der Sieg der das Recht vertretenden Todfeinde Deutschlands] ist, und wenn wir uns dieser Idee nicht widerstrebend unterwerfen, nicht mit inneren Vorbehalten, sondern mit aller Freiwilligkeit, so finden wir [wer?] darin ein Heilmittel für die Wunden der Gegenwart und eine Aufgabe für die Kräfte der Zukunft. Sind einmal diese [welche?] Menschheitsziele unser, so wird die Zusammenarbeit der Nationen zu einer großen befreienden Aufgabe.‹ Mit was für Gefühlen liest heute ein Deutscher solche entsetzliche Phrasen!

Die dritte Seelenoffenbarung, aus des Prinzen Feder, ist die am Schlusse seines Buches ›Erinnerungen und Dokumente‹ (Seite 527). Darin erzählt er uns folgendes:

›… Gegen 5 Uhr nachmittags (am 29. Oktober 1918) trat Freiherr von Grünau in mein Zimmer mit der Meldung: ›Seine Majestät reist heute nach Spa.‹ Ich frage ihn, ob er einen schlechten Witz mache. Grünau erwiderte: auch er habe vor einer halben Stunde noch nichts gewußt … Ich ließ mich selbst mit Seiner Majestät telephonisch verbinden und sagte ihm, wie betroffen ich über diesen neuen Entschluß sei und darüber, daß er ihn so plötzlich und ohne mein Wissen [des Reichskanzlers!] gefaßt habe. Der Kaiser erwiderte, im Kriege (!) würden schnelle Entschlüsse gefaßt, die Oberste Heeresleitung wünschte seine Gegenwart an der Front; die Kaiserin sei auch überrascht worden. Ich bat dringend um Aufschub der Reise, sie würde jetzt den schlechtesten Eindruck machen. In den nächsten Tagen müßten die allerwichtigsten Fragen erledigt werden, die wir unmöglich telephonisch behandeln könnten. Der Kaiser meinte: ›Du hast Ludendorff abgesetzt, nun muß ich Gröner einführen‹. Ich entgegnete, daß der Feldmarschall (Hindenburg) das doch sicher allein tun könne; ich bäte, empfangen zu werden. Der Kaiser berief sich auf die Ärzte, die die Ansteckungsgefahr der Grippe (des Prinzen auf den Kaiser) fürchteten. ›Außerdem mußt du dich schonen.‹ Ich bat, trotzdem herauskommen zu dürfen. Seine Majestät lehnte ab. Ich drängte noch einmal: ›Wir gehen jetzt den schwersten Tagen entgegen, da können Eure Kaiserliche Majestät nicht abwesend sein!‹ Der Kaiser wehrte ab … Während unseres telephonischen Gesprächs war ich mehrfach nahe daran (!), um meine Entlassung zu bitten. Ich unterließ es aus dem Gefühl heraus: Noch nicht. (Wann denn?). Ich wollte das letzte Druckmittel nicht abnutzen (!), – hatte ich doch in 8 Tagen zweimal die Kabinettsfrage gestellt.‹ …

Ich füge kein Wort des Urteils über die Handlungsweise des Prinzen an jenem Schicksalstage hinzu, – dieses Buch wendet sich an denkende Leser.

Am 9. November 1918 veröffentlichte Max von Baden einen amtlichen Erlaß, der begann: ›Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Thron zu entsagen.‹ Dies war eine bewußte Unwahrheit; der Kaiser hat sich erst am 28. November entschlossen, dem Thron zu entsagen.

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