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Tauchnitz

Er ist ein Name wie Bädeker: mehr die Bezeichnung einer Sache als eines Menschen. Um den dahinter stehenden Menschen kümmert man sich nicht, die Sache kennt und schätzt man. Ich habe den Menschen gekannt und will nur von ihm erzählen; über die ausgezeichnete Sache haben Andre geschrieben, ich selbst mehr als einmal.

Nach dem Erscheinen meiner Geschichte der Englischen Literatur (1883) besuchte ich das Haus Tauchnitz in Leipzig und lernte den alten Freiherrn kennen, den Sohn eines noch Älteren, des Begründers der ›Tauchnitz-Sammlung‹. Ich hatte in meinem Buch seine großartige Veranstaltung mit gebührender Anerkennung besprochen, hatte hervorgehoben, welchen Wert sein Unternehmen für die Weltliteratur habe und daß es kein Seitenstück dazu gebe.

Der alte Freiherr war einer der königlichen Kaufleute, die von jeher selten waren; grade im Verlegerstande bin ich auf mehr als einen gestoßen. Er war sehr erfreut, als ich auf eine Lücke in seiner Riesensammlung hinwies: die neue wissenschaftliche Literatur Englands fehlte damals so gut wie ganz; reich ist sie noch heute nicht bedacht, sie würde sich wohl kaum bezahlt machen. Er versprach mir, sein Augenmerk auf diesen Punkt zu lenken, und bald gewahrte ich die Wirkung meines Winkes.

Ein Jahr darnach sah ich den guten Freiherrn wieder, aus einem recht unerfreulichen Anlaß: ich hatte ihn als Sachverständigen laden lassen in einem Rechtshandel mit dem Verleger Wilhelm Friedrich, der aber erst damals und durch meine Klage vor dem Leipziger Landgericht als der gefährliche Schädling für die Schriftsteller seines Verlages entlarvt wurde: er hatte von meinen beiden Literaturgeschichten je 1800 Stück hergestellt und verkauft, obwohl der Vertrag ihn nur zum Druck von 1200 Stück – und 100 für die Presse – berechtigte. Er suchte sich mit der faulen Ausrede herauszuschwindeln, daß es ›allgemeine Üsance‹ im Deutschen Verlagswesen sei, eine beliebige Zahl von Stücken, bis zu 50 %, über die vertraglich festgesetzte Auflage zu drucken – ›zu Propagandazwecken‹. Wo geschwindelt wird, da geschieht das allemal mit Fremdwörtern, hier also mit ›Usance‹ und ›Propaganda‹. Es war ein starkes Stück, daß ein Leipziger Gerichtshof, der doch etwas vom Verlagsbetriebe wissen mußte, zur Beantwortung der Frage, ob ein Verleger 1800 Stück statt 1300 drucken, also betrügerischen Nachdruck verüben dürfe, erst einen Sachverständigen zu laden für notwendig hielt. Das Landgericht hatte das getan; mein Anwalt Hans Blum, Robert Blums Sohn, hatte den Freiherrn von Tauchnitz vorgeschlagen, Friedrich mußte sich dem fügen. Nie werde ich die Wirkung vergessen, die der vornehme alte Herr mit seiner Erklärung hervorrief. Der Vorsitzer des Gerichtshofes frug: ›Herr Baron, wollen Sie uns sagen, ob es eine Usance des Verlagsbuchhandels ist, bis zu 50 % mehr als vertraglich ausbedungen zu drucken und zu verkaufen?‹ Da reckte sich der alte Freiherr, der sechs Schuh maß, zu seiner ganzen Höhe empor und sprach: ›Der Betrug ist keine Usance im Deutschen Verlagsbuchhandel.‹ – Damit war der Rechtsstreit entschieden, Friedrich wurde verurteilt, eine angemessene Buße zu zahlen, und nachdem festgestellt worden, daß er, der Verleger, Nachdruck an seinem eignen Schriftsteller verübt hatte, entzog ich ihm das Verlagsrecht meiner Bücher.

Mit vollem Recht hatte Tauchnitz diese Art des Nachdrucks Betrug genannt, zumal da Friedrich mich durch ›Vorspiegelung falscher Tatsachen‹ über den Stand des Absatzes der Auflage getäuscht hatte. Das Leipziger Gericht aber ließ die Strafklage wegen Betruges nicht zu, oder vielmehr der Leipziger Staatsanwalt und der Oberstaatsanwalt lehnten die Verfolgung wegen Betruges ab, weil nur ein durch das Urhebergesetz bezeichnetes Sondervergehen, der Nachdruck, vorliege. Bis heute halte ich jene Entscheidung für höchst ungerecht. Das Rechtsgefühl, nicht nur meines, sagt: Der Überdrucker dieser Art begeht zugleich Nachdruck und Betrug. Ich habe erfahren, daß in Frankreich ein Verbrechen wie dieses nicht nur als Nachdruck, sondern gleichzeitig als Betrug verfolgt und bestraft wird.

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