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Immer habe ich geleugnet und ich leugne es noch, daß die Deutsche Sprache nicht alles im Himmel und auf Erden vollkommen treffend, jedenfalls besser als irgendein gestohlenes Fremdwort ausdrücken könne. Dennoch kommen Ausnahmefälle vor, wo der begeistertste Liebende der Muttersprache zornig sagen muß – nicht etwa: hier versagt das Deutsche den Dienst, denn dies ist undenkbar, aber: hier hat die gottverfluchte Fremdsucht es dahin gebracht, daß man für einen wichtigen Neubegriff nicht sogleich kühn ein Neuwort bildete, sondern nach Deutscher Sprachaffenart sogleich einem fremden Volke ein Wort stahl. Von dieser Art ist ›Genius‹, für das es Dutzende von herrlichen Deutschen Wörtern gibt, das man aber dulden muß und darf, weil es durch unsre Größten geweiht worden ist. An sich ist Genius ebenso fremd und seelenlos wie das ganze Wörterbuch des sprachlichen Diebsgutes; aber Goethe und Schiller haben es in Heiligkeit getaucht und sprachadlig gemacht; nur darum darf ich es schreiben.
Wie aber steht es mit ›genial‹? An diesem Fremdling haben unsre zwei Größten nicht die Deutsche Adelstaufe vollzogen. Es ist zudem durch greulichen Mistbrauch erniedrigt, fast verpöbelt worden: man hat Nichtskönner genial genannt, weil sie sich als Riesenkerle gebärdeten. Ich schreibe nie ›genial‹, weil das Wort redensartlich gedankenlos angewandt wird, und ich schreibe es erst recht nicht für den Mann, der mir nach Innen- und Außenwesen als der außerordentlichste Mensch erschienen, dem ich je begegnet bin. Ich habe Männer gekannt, die Gewaltigeres und Bleibenderes geleistet haben, als jener Eine, Hans von Bülow; doch keinen, der in jedem Augenblick so des Gottes voll, so gottbeseelt gewesen ist, wie der.
Gottbeseelt ist das Wort für diesen Bülow: er war nie wie andre Menschen, er war ganz ungesucht ein stets Eigner – im Denken, Tun, Sprechen. Er haschte nach keiner Wirkung, – er erzwang sie durch die angeborene Natur. Der Umgang mit ihm wirkte – berauschend; ja das war es. Ich habe nur eine kurze Stunde mit ihm zugebracht, aber als ich von ihm geschieden, war ich ein bißchen wirblig, wie jungen Feuerweines voll. Gegen ihn war Liliencron schal, jedenfalls nicht hochgeistig genug. Man plappert heute großspurig vom ›neuen Menschen‹, man plappert ihn dem neuen Ganzgroßen Georg Kaiser nach, der in seinen ›Bürgern von Calais‹ den überflüssigen Vater eines überflüssigen siebenten Bürgers im 15. Jahrhundert davon quasseln läßt. Keiner hat den ›neuen Menschen‹ gesehen, keiner denkt sich etwas dabei; ich aber habe einmal im Leben den wahren Vollmenschen, ja den Übermenschen gesehen, und der war Hans von Bülow.
Gekommen war das so. Es war nicht lange nach der Entlassung Bismarcks, ich denke 1892. Wilhelm der Zweite hatte dem Deutschen Volk erklärt, er dulde keine Schwarzseher, und wer dennoch einer bleibe, wer nicht rosa sehen lerne, der möge den Staub von seinen Pantoffeln schütteln und das Vaterland verlassen. (Hiernach kann man das Jahr genau bestimmen, – mir fehlen die geschichtlichen Hilfsquellen). Die Zahl der Rosaseher wurde nicht größer, die Schwarzseher sahen noch schwärzer in die Zukunft; sie blieben in der Heimat und mußten leider geduldet werden. Die Erregung über Bismarcks Scheiden aus dem Amt zitterte noch in allen Gemütern; des Kaisers Ermahnung, gleich ihm rosa zu sehen, hatte nicht beschwichtigend gewirkt, – da verlautete, Hans von Bülow werde in der Philharmonie einen Symphonieabend leiten, seinen letzten in Berlin, und bei der Gelegenheit etwas sprechen; man wisse nicht worüber, nicht was, aber etwas.
Ich ging in die Philharmonie, hörte und sah – auch das Sehen war ein Genuß – Bülow die ›Eroica‹ leiten, anführen, fortreißen, die Spielleute, die Zuhörer, sich selbst, – und dann donnerte der Jubel los, nicht zu stillen, immer von neuem aufbrandend, betäubend, bis auf einmal lautlose Stille alles erstickte –: Bülow wollte sprechen. Ich riß einen Bleistift aus der Westentasche und zückte ihn auf den Vortragszettel. Bülow trat an die äußerste Rampe und sprach, etwa so: ›Für Beethoven war der Held die Quintessenz der Welt gewesen. Seine ›Eroica‹ hatte er dem Helden, dem Konsul Bonaparte widmen wollen; dann aber, als er sich in schlechte Gesellschaft [in die der Fürsten] begeben und einer der wahnsinnigen Cäsaren geworden, hat Beethoven seine Widmung zerrissen zugunsten eines biedern einfachen Aristokraten. Diese schreiende Dissonanz zwischen Werk und Widmung darf nicht fortdauern. Wir brauchen nicht zu suchen, wessen Namen wir auf das Titelblatt zu setzen haben. Der größte Geistesheld, der seit Beethoven das Licht der Welt erblickt hat, der Beethoven der Deutschen Politik soll es sein: Fürst Bismarck – hoch!« Neues Beifallsgetose wollte beginnen, – da geschah noch etwas, das Unerwartete, das Überwältigende: Bülow zog sein Seidentüchlein aus der Innenbrusttasche des Fracks, bückte sich, schüttelte mit dem Tüchlein den Staub von seinen Schuhen und verschwand. Kein Beifall, kein Rufen lockten ihn wieder an die Rampe.
Am nächsten Tage brachten alle Zeitungen Berichte über den Vorfall; der Reichsbote, die Kreuzzeitung sehr bedrohliche, entstellende, wohl gar der Majestätsbeleidigung in Gebärden bezichtigende. Man raunte von Staatsanwalt, Anklage und Zubehör. Da besuchte mich ein noch lebender Freund Bülows, ein Dichter, der mich hatte schreiben sehen, und frug mich, ob ich Bülow, der darum wußte, besuchen und ihm den genauen Wortlaut seiner kurzen Ansprache überbringen wolle, ›man kann ja nicht wissen, was man gegen ihn vorhat‹.
Natürlich besuchte ich Bülow mit Freuden. Er wohnte in einem billigen Gasthof am Anhalter Bahnhof, empfing mich mit einer Wärme, die mich beschämte, und sprudelte heraus: ›Mein Freund M. hat mir gesagt, Sie (folgte eine Lobeserhebung über den grünen Klee) haben meinen Kohl (so!) stenografiert. Ich kann nichts mehr beschwören, und es ist wundervoll, daß das nun Schwarz auf Weiß da ist. Hab ich was sehr Schlimmes gesagt?‹ – Ich konnte ihm versichern, daß alles ganz harmlos gewesen, kein antastbares Wort darin stehe. Er las und wurde sehr vergnügt, ließ sich meinen Konzertzettel zeigen und staunte meine Niederschrift an. ›Also so sieht das aus! Und da steht jedes Wort! Und die Hieroglyphen können Sie glatt lesen!‹
Dann aber folgte ein Gespräch, das ich zwar nicht aufgeschrieben, von dem ich aber bis zu dieser Stunde weiß, daß es etwas Außerordentliches gewesen: über Bismarck, den Kaiser, rückhaltlos, über Beethoven, über die Musik, die Berliner, die Presse, den Dichter M., über mich. Und dann sagte er: Sie haben mir einen so großen Dienst getan, ich möchte Ihnen etwas zum Andenken an diese Stunde widmen, – oh, nur eine Kleinigkeit: ich habe nämlich einen famosen Stich von Beethoven gesehen, ganz unbekannt, herrlich, den müssen Sie annehmen, ich lasse ihn schicken, bitte, bitte! –
Ich habe Bülow nicht wieder gesehen. Der Beethoven-Stich hängt im Zimmer meiner Frau und entzückt jeden Besucher. – Ich habe Bücher über Hans von Bülow und Briefe von ihm gelesen, – was sind sie alle gegen den unwahrscheinlichen Menschen, den ich habe erleben dürfen!
*
Ich füge etwas bei, was den Leser gewiß Freude machen wird. Bülow war einer der geistreichsten, feinwitzigsten Menschen, die je gelebt haben, und solchen wurden von jeher Witze aufgeredet, die man in kein andres Erinnerungsbuch stopfen konnte. Namentlich tonkünstlerische Kalauer wurden in den 70ern und 80ern des vorigen Jahrhunderts mit Vorliebe jenem Großmeister des Witzes zugeschoben. Ich lasse hier einige feine Worte in strengster Auswahl aus den bestbeglaubigten Quellen folgen, um vielleicht zu ihrer Verwahrung an einem leidlich sichern Orte beizutragen.
Bülow über den Sänger Schott, der Reserveoffizier der Artillerie war: ›Wie merkwürdig: früher war er Artillerist und jetzt singt er unter aller Kanone!‹
Bülow über eine ihm sehr gerühmte preisgekrönte Oper: ›Verlassen Sie sich darauf: je preiser die Oper gekrönt ist, desto durcher fällt sie.‹ – Und sie fiel durch.
Bülow zu einer Freundin, die sich über ihren schlechten Platz an einem seiner Klavierabende beklagte, wo sie seine Hände nicht habe sehen können –: ›Aber, meine Verehrte, ich spiele doch nicht mit den Händen.‹
Bülow zu den unbeschäftigten Chorsängerinnen, die auf einer Probe laut schwatzten: ›Aber, meine Damen, Sie sollten doch wissen, daß das Kapitol schon gerettet ist.‹