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Die preußische Dichterakademie

So haben wir sie uns nicht gedacht, Konrad Hänisch und ich, als wir 1919 unter meinem blühenden Apfelbaum saßen und über die Fünf berieten, die den Kern einer zu gründenden Akademie für Dichtkunst bilden sollten. Hänisch wollte das Selbstverständliche: eine Vereinigung der bedeutendsten schöpferischen Kräfte. Seine Kunstbildung reichte nicht hin, die wichtigen auszusuchen; er hielt sich an die Berühmtheit, d. h. den Zeitungsruhm; aber die nackte Stümperei, die offensichtliche Unkunst hätte er nicht zugelassen. Er setzte mir auseinander: zuerst fünf unbezweifelbar Bedeutende, – die werden sich keine Mittelmäßigkeiten zuwählen. Dessen war ich nicht sicher: ein einziger Urteilsloser unter den Fünf, und die ganze Akademie war den Minderwertigen preisgegeben. Ich erwiderte ihm: Gleichviel wie Sie über Hauptmann denken, der unbedingt einer der Fünf sein mußte, – selbst wenn er der große Dichter wäre, für den Sie ihn halten, – ein Urteil über Kunst und Unkunst hat er nicht. Ich hielt Hauptmann von jeher für bildungslos und machte zu seinem Bewundrer Hänisch kein Hehl daraus. Er gab wohl etwas auf mein Urteil, nur an Hauptmann, den ›sozialen Dichter‹, durfte nicht gerührt werden.

Was aus der Dichterakademie jetzt geworden ist, weiß die Deutsche Bildungswelt. Unter einer Akademie hat man in allen Ländern und zu allen Seiten verstanden eine Gemeinschaft von Künstlern oder Gelehrten, die auf ihrem Gebiet etwas Großes oder doch Tüchtiges geleistet hatten. Eine Akademie von Nichtskönnern, von Stümpern, von Lächerlichkeiten hat es nie und nirgend gegeben. In der Französischen Akademie sitzen nicht vierzig Männer, deren jeder ein Jahrhundertgeist ist; aber jeder hat etwas Hervorragendes geleistet, und noch die Geringsten müssen, um zugewählt zu werden, ein Buch, gleichviel worüber, in mustergültigem Französisch geschrieben haben. Unter den vierzig Unsterblichen der Französischen Akademie ist zur Stunde kein Einziger, dessen Name dieses Jahrhundert überdauern wird, aber auch kein Einziger, von dem alle urteilsfähige Franzosen wissen und sagen: eine Null oder gar eine Lächerlichkeit.

So mit allen bestehenden Akademien der Welt; so mit der preußischen Akademie der Wissenschaften oder der Künste, wenn man die ›Sektion‹ für Dichtkunst draußen läßt. Auch unter den akademischen Wissenschaftern hat es einige gegeben, die man nicht grade Leuchten nennen durfte; aber noch der bescheidenste – besser: der wenigst bedeutende – hat auf irgendeinem Gebiet etwas gewußt und gewirkt. Selbst Gustav Goethe, der durch sein unwissendes und wissenschaftswidriges Sprachgutachten von 1918 die Berliner Akademie so schauderhaft bloßstellte, ja lächerlich machte, war doch kein wertloser Mensch. Sein schweres Verschulden bestand darin, daß er, vom Dünkel verblendet, sich erdreistete, ein Gutachten über ein Wissensfach abzugeben, von dem er nachweislich nichts verstand: über eine wichtige Frage der neuhochdeutschen Wortkunde. Wohl aber war Goethe nach dem Zeugnis der Fachmänner einer der gelehrtesten Kenner des Gotischen, des Alt- und des Mittelhochdeutschen und als solcher in der Tat eine Zierde der Akademie, der er angehörte.

Ganz anders steht es mit der preußischen ›Sektion‹ oder Akademie für Dichtkunst. Ihr gehören ein paar Dichter, Männer und eine Frau, an, die selbst der strengste Kunstrichter gelten lassen muß; aber die Schar der Andern –! Ich gebe zu: so wie die Dinge zur Zeit in Deutschlands Kunstleben stehen, ist die Mitgliedschaft einiger Dichter unvermeidlich, deren gegenwärtige Berühmtheit sie einer solchen Akademie aufzwingt. Die seit bald 40 Jahren herrschende, durch die Schererschüler erzeugte Lähmung des Kunsturteils hat es dahin gebracht, daß eine Scheingröße wie Hauptmann als das selbstverständliche oberste Mitglied einer Dichterakademie gilt. Solange diese Lähmung währt, erscheint Hauptmanns Mitgliedschaft wenigstens nicht als lächerlich. Anders sieht es schon mit dem Mitgliede Stefan George. Indessen über diesen ›Dichter‹ habe ich alles Nötige in meiner Deutschen Literaturgeschichte gesagt. Sobald die Kunstwissenschaft in einem Lande den Grad der Verblendung erreicht, daß sie auch Unverständliches, Sinnloses, nichtiges Gaukelwerk für größte Kunst erklärt, muß ein völlig nichtiger Versedrechsler und Anfertiger von wertlosen Schnurrpfeifereien in eine Dichterakademie hinein. Freilich hört diese dadurch auf, eine Gemeinschaft ernster Künstler zu sein.

Doch damit nicht genug des Minderwertigen und Wertlosen: mehr als ein Dutzend der Mitglieder dieser Akademie sind nach dem Urteil aller Könner und Kenner gradezu spaßhafte Erscheinungen. Ich nenne weiter keine Namen, denn ich will keinem Einzelnen wehtun; aber jeder kennt und nennt die von mir gemeinten Nichtdichter, über deren rührende Unbegabung kein Zweifel besteht. Sie selbst tragen keine Schuld, sie haben sich wahrscheinlich nicht um die Mitgliedschaft beworben; sie sind von den Nichtskönnern in der Akademie hinzugewählt worden, damit die Einheitlichkeit ihres Kunstunvermögens nicht gestört werde. Die Schuld schreibt sich her von den zuerst hineinernannten oder zugewählten Wertlosen. Hätte der Minister, oder wer sonst für die ersten Ernennungen verantwortlich war, streng darauf geachtet, nur anerkannte Könner hineinzuberufen, so hätten diese schon dafür gesorgt, daß nicht drollig lächerliche Stümper hineinkämen. Die jetzt in der Akademie thronenden Nichtskönner wählen ausschließlich Nichtskönner hinzu, weil sie sich vor den Könnern fürchten; neben diesen würde ihre Lächerlichkeit gar zu deutlich sichtbar werden.

So, wie wir jetzt die Dichterakademie besetzt sehen, ist sie den Könnern ein Ärgernis, den Gebildeten ein Gelächter. Sie genießt nicht das geringste Ansehen in der Hochbildungswelt. Ulrich von Wilamowitz nennt sie in seinen ›Erinnerungen‹: ›lächerlich‹, sagt aber kein Wort, warum. Wer sich über die preußische Dichterakademie lustig macht, und das tut jeder Mensch mit Einsicht und jeder darf es tun, der muß sagen, warum. Lächerlich ist jeder Mensch und jedwedes Ding mit schroffem Gegensatze zwischen Ziel und Mittel. Eine Dichterakademie von Nichtdichtern ist lächerlich. Selbst wenn ihr zeitiger Vorsitzender in Deutschland umherreist und Vorträge hält über die ›Existenz, die Aktivität, die Evolution‹ seiner Akademie, sie wird dadurch erst recht lächerlich.

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Gab es etwa keine Möglichkeit, eine ernsthafte Dichterakademie zu begründen? Mußte die preußische durchaus so lächerlich werden? Man lese Kellers Novelle ›Die mißbrauchten Liebesbriefe‹, dann weiß man, was unsre dichterische ›Sektion‹ in Wahrheit ist, mögen sich ihre nahezu zwei Dutzend Nichtskönner noch so großartig aufspielen. Nur eins nimmt mich und Andre wunder: ein paar wirkliche Dichter sind hineingeraten, – warum bleiben die neben den Kurt vom Walde, Roderich vom Dale, Hugo von der Insel in der drolligsten aller Akademien der Erde? Warum lassen sie die Nichtskönner nicht ganz unter sich? Und vor allem: warum begründen die paar Dichter in dieser Akademie der Nichtdichter nicht eine der wirklichen Dichter, an denen Deutschland doch nicht so gottverlassen arm ist, wie man beim Durchsehen der jetzigen Mitgliederliste glauben möchte, wenn man es nicht besser wüßte? Gehören in eine achtungswerte Akademie der Dichtkunst nicht hinein Dichter und Dichterinnen wie: Gustav Frenssen, Isolde Kurz, Paul Keller, Dietrich Speckmann, Gustav Schüler, Ina Seidel, Max Dreyer, Helene Böhlau, Anton Wildgans, Frieda Kraze, Fritz Müller-Partenkirchen, Karl Federn, Bruno Frank, Hermann Stegemann, Karl Strobl, Emil Ertl, Ernst Lissauer, Hermann Claudius, Wilhelm Lobsien, dazu noch so viele andre wirkliche Dichter, wie die Akademie jetzt Nichtdichter aufweist? Die hier Aufgezählten gehören nicht alle in den Kreis der Großen, der Bleibenden; aber unter ihnen ist kein einziger, der nicht wenigstens ein Werk echter Kunst vollbracht hat. Ein Nichtskönner, wie die jetzige Dichterakademie sie in lächerlicher Menge aufweist, steht nicht in meinem Verzeichnis. Jedes der Mitglieder einer Akademie, wie ich sie andeute, hat Schöpfungen hervorgebracht, die von Zehntausenden unsrer Gebildetsten mit Genuß gelesen werden. In der heutigen Akademie sitzen viele, vielzuviele, deren Namen nur dem engsten Klüngel bekannt sind, von denen kein Blatt einem Leser außerhalb des Klüngels je vor die Augen gekommen.

Die ›Sektion‹ für Dichtkunst muß von dem Minister aufgelöst werden, oder noch besser sie selbst muß sich für aufgelöst erklären, und dann mag die Dichtungsakademie errichtet werden, die aus Dichtern besteht.

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