Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die ihn genau gekannt haben, sagen übereinstimmend von ihm: er wurde sein Lebenlang unterschätzt, übersehen, besonders von seinem Schwager Wilhelm 2. Den Menschen und seinen geistigen Wert habe ich gut gekannt, den Soldaten zu beurteilen getraue ich mich nicht; doch über den habe ich das Urteil von Kennern gehört, die mir eins bestätigten, was ich wußte: Bernhard von Meiningen hat alles, was er ergriff, mit der Gründlichkeit und dem Fleiß eines echten Deutschen Gelehrten angepackt und nicht losgelassen; er war der lebendige Gegenpol alles Oberflächlichen. Grade hierdurch geriet er in Gegensätzlichkeit zu Solchen, die sich an spielerischer, schillernder Vielseitigkeit, d. h. Oberflächenbildung, genügen ließen.
In Heeresfragen stand er hoch über dem Durchschnitt des Generalstäblers, – das habe ich von gebildeten Offizieren gehört, die Bescheid wußten. Seine Kenntnisse in der Kriegsgeschichte waren die eines fachmännischen Gelehrten, und ein immerfrisches Gedächtnis unterstützte ihn dabei.
An gründlicher Kenntnis der Literatur und der Kunstgeschichte übertraf er alle zeitgenössische Deutsche Fürsten, und nur sein Vater Georg war ihm in der Geschichte des Dramas der Völker überlegen. Aber der hatte sich auch nicht um Heeresfragen zu kümmern.
Der Erbprinz Bernhard hatte wirklich, redlich studiert, hatte bei sehr bedeutenden Hochschullehrern, namentlich bei Bernays und Köchly, Vorlesungen gehört und im Anschluß daran fleißig gearbeitet. Seine Begeisterung für die altgriechische Dichtung, namentlich für die großen Dramenschöpfer war echt und ruhte auf eingehender Kenntnis. Er bemeisterte, mit einigen Nachhilfen, sogar Äschylos, und mit einem Verse von Äschylos hat er sich bei unserm letzten Wiedersehen, er ein 76jähriger, von mir verabschiedet. Es war der Vers aus dem ›Agamemnon‹, womit mein Buch ›Was bleibt?‹ schließt.
Er liebte die griechische Sprache, liebte sie mit allen ihren Schwierigkeiten, grade wegen dieser. Natürlich sprach er geläufig Französisch und Englisch, leidlich Italienisch; aber, so hatte er mir bei unsrer ersten Begegnung gesagt, das sind ja Sprachen, die fliegen einem zu, das Griechische fordert Willen. Vom Altgriechischen zum Neugriechischen war er auf demselben Wege gekommen wie ich, und noch sehe und höre ich den lebhaften Mann mir seine Überraschung und Freude aussprechen, daß es mir so ergangen wie ihm, wie es aber auffallend wenigen Liebhabern des Altgriechischen ergeht. Da er die alte Sprache liebte, so war in ihm die Neu- und Wißbegier aufgestiegen: Was für ein Schicksal hat das Althellenische durch die zwei Jahrtausende bis heute erlebt? Fürs Lateinische lag die Entwicklungsgeschichte klar am Tage: ihm waren das Italienische, Französische, Spanische entsprossen. Was aber war aus dem Griechischen geworden? Wen der Erbprinz darüber befrug, auch mancher sehr große Gelehrte des Griechischen, der wußte darüber nichts Zuverlässiges, sprach meist unwissenschaftliches Gerede von Unwissenden nach, zeigte gar keine Teilnahme für die Frage. Genau so wie mich schon in sehr jungen Studentenjahren hatte ihn dieser Zustand verwundert, beunruhigt. Als ich ihm erzählte, daß ich schon im ersten Halbjahr an der Universität mir Mullachs Grammatik des Neugriechischen aus der Königlichen Bibliothek entliehen hätte, um Aufklärung zu finden, sagte er belustigt: Wahrscheinlich habe ich denselben Band kurz vor Ihnen benutzt. Immer wieder kam er darauf zurück: Da schwärmen die Philologen, die Humanisten für das unübertreffliche Griechisch, und keiner hat so viel wahre Liebe für die Sprache, daß er fragt: was ist aus ihr geworden? Er kannte die Schriften Fallmerayers über den slawischen Ursprung der Neugriechen und sprach, mit Recht, verächtlich davon: Der Mann hat Bücher über Neugriechenland geschrieben und hat kein Neugriechisch gewußt. – Ich erwiderte ihm: Weil das Schreiben bequemer ist als das Lernen.
So war er dazu gekommen, das Neugriechische zu lernen, von Grund auf. Es hat ihm, der sein Altgriechisch nicht vergessen hatte, viele Freuden bereitet, die nur nachfühlen kann, wem es ebenso ergangen. Wenn er auf ein vom Attischen völlig abweichendes neugriechisches Wort stieß, das von den Unwissenden für einen Beweis des Nichthellenentums der Neugriechen erklärt wurde, und er dann erfuhr, das neugriechische seltsam klingende Wort berge in sich eine uralte echte hellenische Wurzel, sei mindestens so alt wie das beste attische, dann war er gradezu beglückt. Wir tauschten unsre angelesenen oder selbstgemachten Entdeckungen dieser Art aus und genossen sie wie Feinschmecker. Noch erinnere ich mich seiner Freude, als ich ihm aus Aristophanes bewies, daß das heutige auf den ersten Blick unverständliche Wort psari für Fisch ein ausgezeichnetes altattisches, nur durch das Abstoßen des Anfangslautes o verstümmeltes Wort sei, wie es deren noch mehr gebe. Die Griechen als ein südliches, schnellsprechendes Volk haben wahrscheinlich schon zu Aristophanes' Zeiten psari gesagt, aber opsari(on) geschrieben, so wie wir sagen: Segnete Mahlzeit. – Prinz Bernhard hat bei solchen Gelegenheiten manchmal gescherzt: Wenn man wüßte, wofür ich mich hier interessiere – der Gute sagte ›interessiere‹, ich damals schon nicht mehr –, was meinen Sie, was man von mir sagen würde? – Worauf ich einmal: Dasselbe, was einst über des Rheinsbergers Flötelernen gesagt wurde.
Der Erbprinz sprach das Neugriechische nicht sehr fließend, aber gut, besser als ich; in der Fixigkeit war ich ihm über. Das wunderte ihn, aber es war leicht zu erklären: Ich sprach es viel öfter und ungezwungener als er, weil bei mir griechische Studierende der Universität aus und ein gingen. Er las es mühelos, schrieb es anmutig, wie mancher Brief, manche Karte an mich bezeugten. Mit der Beihilfe seines griechischen Lehrers hat er sich sogar an eine Versübersetzung von Lessings Nathan gewagt und eine lesbare Arbeit zustande gebracht.
Alles, was von Neugriechenland handelte, las er mit eifrigem Anteil, denn er kannte Land und Leute von mehrfachen Reisen her. Nach der Rückkehr von meiner ersten Hellasreise war ich mit des Erbprinzen griechischem Lehrer, dem einst wohlbekannten Kreter Mitsotakis, ›Lektor‹ des Griechischen an der Universität, bekannt geworden. Er war dem Erbprinzen aufs herzlichste zugetan und wurde von diesem als Mensch und Gelehrter nach Verdienst geschätzt. Als im Herbst 1886 meine ›Griechischen Frühlingstage‹ erschienen waren, las der Erbprinz sie sogleich, erkundigte sich durch seinen getreuen Mitsotakis nach mir und lud mich ein – ›χωρὶς φράκκο‹ (ohne Frack), wie er ausdrücklich hinzusetzte. Diese Formel gegen Förmlichkeit fehlte in keiner seiner späteren Einladungen, sie war ein stehendes Scherzwort geworden, und noch sein letzter Brief, eine Einladung, ihn in einer Heilanstalt in Meran zu besuchen, vom April 1927, schloß mit: ›χωρὶς φράκκο, ἐννοεῖται‹ (versteht sich, ohne Frack).
*
Da ich von dem Erbprinzen nichts begehrte, vor allem nicht den in solchen Fällen selbstverständlichen Orden seines Hauses – ich bewunderte ihn bei großen Anlässen auf unsers guten Mitsotakis Männerbusen –, da ich ein freier Mann blieb, so bildete sich eine Beziehung zwischen dem Erbprinzen und mir heraus, die mir jetzt bei sinkender Sonne in reiner schöner Erinnerung steht. Wir sprachen miteinander ohne den geringsten Zwang, in den Umgangsformen, die sich von selbst verstanden: denen der gebildeten Menschheit, die mit keiner innerlich begründeten Schranke des höfischen Verkehrs zusammenstieß. Ich brauchte nicht in jedem Satze statt ›Sie‹ zu sagen ›Hoheit‹, eine spärlich eingestreute Hoheit genügte der guten Sitte und ihm. Am Kaiserhofe hat man leider nicht begriffen, wie sehr die ›Majestät‹ dadurch abgenutzt wurde, daß man sie ganz wie ein persönliches Fürwort gebrauchte. Ich durfte sagen und sagte, was ich für angemessen hielt. Der Erbprinz vertrug, ja wünschte ein freies Männerwort, nicht bloß über gelehrte, auch über Staatssachen; und er selbst nahm kein Blatt vorn Mund. Meiner Verschwiegenheit vertraute er, – ich ehre sein Vertrauen noch heute, wo er, der letzte Herzog seines Hauses, in der letzten Ruhe liegt.
In Berlin bewohnte er als Erbprinz in den letzten 80er und ersten 90er Jahren nacheinander ein Haus hinter den Zelten und eine Gemächerflucht im Charlottenburger Schloß. Er trug stets Heerestracht, gab sich aber durchaus als einen bürgerlich gesinnten, sehr einfachen, liebenswürdigen, an allem geistig Wertvollen aus ganzer Seele teilnehmenden Menschen mit wahrer Höhenbildung. Er wußte viel, denn er hatte sehr viel gelesen, viel an sich gearbeitet, sich nicht mit den oberflächlichen Zerstreuungen seiner Welt zersplittert.
Der Hauptgegenstand unsrer Unterhaltungen war das neue Griechenland, seine staatlichen Zustände, seine Fortschritte auf manchen Gebieten, seine Literatur und Sprache. Er wußte gründlich Bescheid in den sehr merkwürdigen Ausdrucksformen, die das Neugriechische, besonders die Volksprache, aufweist. Ich erinnere mich eines Gesprächs, worin er versuchte, den schwer erklärbaren griechischen Ausdruck für ›Die Sonne ist untergegangen‹: ›ὁ ἥλιος ἐβασίλεψε = Die Sonne ist König gewesen‹ auszudeuten. Ich konnte ihm Goethes Übersetzung ›Ausgeherrschet hat die Sonne‹ (Neugriechisch-epirotische Heldenlieder, 5) anführen. Ich habe nachmals erfahren, daß die Erklärung bis heute den griechischen Gelehrten Schwierigkeiten macht.
Er wußte, daß man bei Hofe und in Heeres kreisen spottete über diesen Erbprinzen und General, der sich mit einer so abgelegenen Sprache wie dem Neugriechischen wissenschaftlich abgebe, und daß man ihn überhaupt mit seiner Liebe zur Kunst und zu allen höchsten Fragen in jener Welt nicht ganz für voll nahm, jedenfalls nicht so, wie wenn er sich mit den Zwischenstufen des englischen Voll- und des Kaltbluts beschäftigt hätte. Und doch mußte jeder auch aus jenem Lebenskreise zugeben, daß Erbprinz Bernhard als Korpsbefehlshaber durchaus auf der Höhe seines Amtes stand, es nicht prinzlich leicht nahm, niemals den General hinter den Gelehrten stellte. Heute darf, ja muß gesagt werden: Wilhelm 2. hat seinen Schwager Bernhard von Meiningen nicht gekannt, nicht gewürdigt, oder er hat in ihm den überlegneren Geist gesehen und sich abneigend gegen ihn verhalten. Dies führte zum Bruch. Der Erbprinz als Führer des 6. Armeekorps in Breslau erließ einen Befehl an dessen Offiziere, worin er sich aufs strengste gegen jede Soldatenmißhandlung wandte, – eine Selbstverständlichkeit, die Erfüllung einer Befehlshaberpflicht; aber dem Kaiser mißfiel, daß irgendetwas Bedeutsames, öffentlich Gerühmtes ohne seine Erlaubnis vorginge, – so wurde dem Erbprinzen eröffnet, daß er zu selbständig gehandelt hätte. Er schied aus seiner Heeresstellung und nahm den Wohnsitz in Meiningen.
Unter vielen andern Begegnungen mit dem ausgezeichneten Manne ist mir die in Athen im Herbst 1889 besonders lebendig. Zu Ehren der Vermählung der preußischen Prinzessin Sofie mit dem griechischen Kronprinzen Konstantin sollten im athenischen Nationaltheater die ›Perser‹ von Äschylos – natürlich altgriechisch – mit einer Vertonung des Erbprinzen aufgeführt werden. Lange Vorbereitungen, Einübungen, Hauptproben, zu deren einer ich von ihm eingeladen war. Stundenlang saß ich neben ihm, während er durch Zurufe eingriff, leitete, besserte. Alles klappte; die Darsteller, die Chöre, die Tonkünstler hatten sich die liebevollste Mühe gegeben, morgen sollte die Aufführung vor sich gehen, es wäre die Höhe der Festlichkeiten geworden, – da plötzlich geruhte der Kaiser abzureisen; alle Mühe war umsonst gewesen, die Aufführung unterblieb. Ich traf den Erbprinzen an dem Tage auf der Akropolis, er sprach zu mir von Menschen und von Dingen jener Zeit, – ich will sie vergessen haben.
Zuletzt habe ich Bernhard von Meiningen als entthronten Herzog im April 1927 in Meran gesehen, wo er, halb gelähmt, in einer Heilanstalt weilte. Er entschuldigte sich, daß er sich nicht erheben könne, um mich zu begrüßen, freute sich ungemein, wieder ein bißchen Griechisch zu sprechen, und war glücklich, als ich der Wahrheit gemäß bestätigte, daß er es nicht vergessen habe. Körperlich gebrochen, geistig wunderbar frisch. Wir tranken Kaffe, er nötigte mir allerlei Kuchen auf. Freimütig sprachen wir von den Ursachen der Deutschen Niederlage, besonders der verlorenen, vielmehr verlorengegebenen Schlacht an der Marne. Sein zusammenfassendes kurzes Wort lautete: »Der Krieg ist nicht militärisch geführt worden, sondern politisch und falsch politisch. Wir mußten und konnten im September 1914 Paris in unaufhaltsamem Vorsturm besetzen, dann war der Frieden da. Gewiß war es ein Unglück, daß die Russen in Ostpreußen einbrachen, aber das mußte ertragen werden um der Entscheidung willen vor Paris. Die, von Hindenburg nicht erbetene, Entsendung zweier Armeekorps vom rechten Flügel, grade vom rechten Flügel in Frankreich, nach Ostpreußen hat uns den Sieg entrissen. Der Krieg wurde nicht militärisch geführt.‹
So, fast wörtlich, der Herzog. – ›Εἰς καλὴν ἀντάμωσιν, auf glückliches Wiedersehen!‹ sagten wir zueinander beim letzten Händedruck. Ich habe den lieben Menschen und edlen Fürsten nicht wiedergesehn.