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Unser Garten

Ihn zu beschreiben, kommt mir nicht in den Sinn, denn ich schreibe dieses Buch nicht für mich, sondern für den Leser, und was macht sich der aus meinem Garten? Ich sage nicht einmal, ob er schön oder gewöhnlich ist, – auch darauf kommt nichts an. Unsre Gäste finden ihn schön, aber das geht nicht aufs Landschaftliche, Künstlerische, sondern nur auf die Blumen, und deren Schönheit ist ihr, nicht mein Verdienst. Von unserm Garten spreche ich, weil er mich, außer der Beglückung durch die Herrlichkeiten der Pflanzenwelt, sehr vieles gelehrt hat, was von allgemein menschlicher Wichtigkeit ist.

Ein Mensch ohne Garten ist kein Vollmensch, das weiß ich jetzt bestimmt; unbestimmt hab ich's immer gefühlt: die Blumenkisten auf dem Söller, vor den Fenstern, später das Laubengärtchen nahe der Wohnung – sie waren die Regungen des nur schlummernden Bedürfnisses. Ich habe Bücher geschrieben, habe sie werden, sie erscheinen sehen, – was ist das gegen das Erlebnis an der Rose, der Pfingstrose, der Lilie, dem Rittersporn? Alles Bücherwesen, alles Menschenwesen ist das Unvollkommne; die paar Vollkommenheiten der Menschenkünste verschwinden in der Unendlichkeit des Nichtigen, Mittelmäßigen, Unvollkommnen. Was für Gerühme um Wertloses habe ich in den zwei von mir durchlebten Zeitaltern der Dichtkunst erlebt; wie viel dröhnt aus der Ferne der Großstädte mit ihrem verlogenen Ruhmeslärm bis hierher in meine dörfliche Einsamkeit! Wohl bleibt einmal eine von meinen dreihundert Rosen stecken, kommt schlecht zur Blüte, zeigt Züchtungsmängel oder die Folgen meiner Nachlässigkeit; aber das ist eine unter dreihundert und nur in diesem Jahr; im nächsten ist ihr Wurzelwerk tiefer eingedrungen, wir haben sie besser mit der Ambrosia genährt, die sie zum Entfalten ihrer Kraft und Schönheit braucht, dem edeln Kuhmist, und jetzt übertrifft sie ihre früher entwickelten Schwestern an Reichtum der Blumen, an Schönheit ihrer Form.

In meinem Arbeitszimmer umsteht mich in den Bücherschränken und -Ständern die Blütenpracht unsrer neusten Dichtung, der des ›neuen Menschen‹ vom ›neuen Menschen‹. Sie ist so neu, so unaussprechlich großartig, so entgegengesetzt dem altbacknen Kitsch früherer Dichtungszeiten, daß sie verachtungsvoll nicht einmal mehr die Artbezeichnungen der alten sogenannten Dichtkunst im Munde führen kann, zumal da die abgenutzte Deutsche Sprache für diese neue unerhörte Kunst nicht entfernt hinreicht. ›Expressionismus‹ nennt sie sich, kosmisch ist sie, oder je nachdem mystisch, psychoerotisch, numinos, ekstatisch – muß solche Kunst nicht wundervoll, hochhinaus über alle dagewesene sein, diese neue Kunst des neuen Menschen? Ich gehe ganz langsam an den Reihen der Großmeister des Expressionismus dahin, versuche bei jedem Namen mir ein Gedicht, einen Vers, nur ein Wort in die Seele zu rufen –: nichts wird lebendig, nichts ist da als die Erinnerung an wüstes, unterschiedloses Gefasel von Menschen, die nicht einmal schlechte Dichter, die überhaupt keine Dichter sind, sondern nur sinnloses und unkünstlerisches Gestammel in abgehackten Zeilen drucken lassen, die wie Verse aussehen sollen.

Ich gehe in den Garten, sehe an den blühenden Stauden vorbei, suche das vereinzelte Unkraut, das man trotz aller Sorgfalt nie ganz los wird. Wir Menschen sagen Unkraut, – aber da sehe ich eine noch ganz niedrige Nessel: welche Zierlichkeit des Laubes, welche Sättigung der Farbe. Vollendet ist sie in ihrer Art, keine Spur von Stümperei; so klein sie ist, sie sticht schon wie die hohen Nesseln. Und wenn sie erst blüht, so ist das Kunstwerk der Natur fertig. Was ist im Vergleich mit dieser Nessel, oder mit jener einzelnen Melde, oder mit dem Grashalm der Quecke neben dem Phlox – der ganze Band ›Blaue Abgründe‹ des hochberühmten Expressionisten – doch wozu ein Name?, sie exprimieren oder expressionieren sich ja alle auf die gleiche Art: die der dichterischen Ohnmacht.

Man hat mir von jeher, besonders empört nach dem Erscheinen der letzten Auflage meiner Geschichte der Deutschen Literatur der Gegenwart vorgeworfen, daß ich so erbarmungslos streng gegen die neuste Dichtung sei. Ich bin ja viel zu milde. Das richtige Urteil wäre: Die und die und die – folgen 30 Namen von Expressionisten, Äternisten, Ekstatikern, Psychoerotikern, Nuninosen usw. – schreiben Schund, nennen ihn Dichtung, werden hier nur verachtungsvoll genannt, nicht eingehend untersucht, denn sie sind alle gleich schundig. Sollte ich aber wirklich noch strenger geworden sein als früher, so gebührt das Verdienst unserm Garten. Immerfort wandle ich in ihm zwischen Vollkommenheiten, zwischen Schönheiten, zwischen Ernst und Ehrlichkeit. Keine Staude spiegelt mir etwas vor, was sie nicht ist, nicht sein kann; nichts Spielerisches, Läppisches, dabei Wichtigtuerisches schreit mich an. Wahrhaft feierlich steigt der Stiel – oder der Stil (beide stammen aus derselben Wurzel) – der Goldbandlilie ( Lilium auratum) empor, anmutig zugleich wiegt er sich und seine Blütenkrone in der sanftbewegten Luft. Edel und rein ist der Duft, der aus dem tiefen Kelche haucht. Das ganze Gebild, jede einzelne Blume spricht klar zu mir: Ich bin die Lilie mit den goldgestreiften Blütenblättern, ich will nichts andres sein, will keine südliche Datura-Blüte sein; bin kein numinoses Mysterium, sondern eine Lilie; öffne mich dir, soweit ich kann, und sage dir alles, was ich sagen kann und du begreifst. Und dann lese ich in meine Bücherstube zurückgekehrt ein sogenanntes Gedicht des sogenannten Hohenpriesters, des Großkophtas, des Cagliostro unsrer zeitgenössischen – nicht Dichtung, sondern nur Literatur; nicht Liedkunst, sondern nur Lyrik; lese erschwindelte Feierlichkeit, sehe die gauklerhafte Priestergebärde, rieche aus jeder Zeile die Unnatur, die Seelenlüge, die Kunstfäulnis; denke an den Gestank des Weihrauchs gewisser Poesieprofessoren mit verblödetem Kunsturteil; werfe angeekelt das Buch aus der Hand und rette mich in die Schönheit und die Ehrlichkeit unsers bescheidenen Gartens.

*

Die Schönheit der Blumen kennt jeder; denket aber nach über den unwandelbaren Ernst, die goldechte Redlichkeit dieser wonnevollen Geschöpfe. Denket nur: keine Spur von Lärm um eine dieser Stauden, außer etwa dem Bienengesumse; kein ›… istischer‹ Klüngel um sie herum, der aus einem hübschen Leberblümchen ein gefülltes Windröschen macht; kein durch ein Modegeschwätz vertrottelter Conférencier hält Vorträge über diesen Rittersporn in einer sogenannten Akademie für esoterische Botanik und beweist der Welt, daß erst durch diese Staude das Problem der azurenen Kosmik gelöst sei.

Ich sage euch: ein Schriftsteller unsrer Zeit, der keinen Garten hat, weiß weder, was echte Schönheit, noch was geistige Wahrhaftigkeit ist. Und überseht auch dieses nicht: alle diese Schönheit spricht in ihrer eignen Sprache zu euch. Sie reden mit Sonnenstrahlen, Lichtern und Schatten, Farben und Formen zu euch, aber sie schwindeln nicht in einer Sprache, die nicht die ihre ist. Sie tragen vielfach fremde, unverständliche, dumme, lächerliche, häßliche Namen; aber wir wissen, die haben ihnen geschmacklose Menschen gegeben. Diese große buntleuchtende rundliche Dolde ›Phlox‹ zu nennen, wobei kein Mensch, der nicht Griechisch gelernt, sich etwas denken kann. Oder diese weiche feingefiederte flockige Quaste in den verschiedensten Farben – man möchte ›Federspiel‹ zu ihr sagen – muß den scheußlichen Namen ›Skabiose‹ (die Krätzige) erdulden. Wie schön sind alle Blumen, wie roh viele ihrer Benenner! Indessen für den denkenden Gartenbesitzer, dem alle seine Pflanzen zu holden Freundinnen geworden, sind auch solche Widerwärtigkeiten Anstöße zum Denken in Wahrheit und Schönheit. Nichts hindert ihn, seinen Blumen schöne Namen zu geben wie am ersten Schöpfungstage; wir nennen viele unsrer Lieblinge ganz anders als die Züchter und Händler, die zu dem altüberlieferten Ungeschmack noch den völkischen Stumpfsinn fügen. Man stelle sich vor: die Holländer oder die Engländer haben eine neue schöne dunkelrote Rose ›Edith Cavell‹ genannt, und die Deutschen Händler führen gehorsam diesen Namen in ihren Verzeichnissen. Die Rose kann nichts für ihren Namen; wir haben sie, aber sie heißt ›Schön Suschen‹ nach der edlen Retterin Johanna Sebus. So haben wir einen riesenhaften Senecio Wilsoni umgetauft in ›Mammut‹, denn sonst würde er unsern ganzen Garten verunehren. Eine der schönsten Rosen, die der Ungeschmack ›Edu Meyer‹ schimpft, heißt bei uns nur ›Conrad Ferdinand‹, und Hyacinthus candicans, die Riesenhyazinthe, 4 Fuß hoch, hört auf den Namen ›Glockenspiel‹ und bimmelt zum Dank dafür um 12 Uhr Mittags: ›Nun danket alle Gott!‹, was aber nur die vom innersten Kreis vernehmen.

An andrer Stelle (S. 340) steht, was ich einst einem preußischen Minister gesagt habe: daß jeder seines Standes einen Garten haben müßte. Wir werden zumeist von Menschen ohne Garten regiert, das ist unser staatsbürgerliches Unglück. Unsre Minister haben überwiegend schlechten Umgang: lauter Menschen; ich glaube, die wenigsten haben einen Hund, keiner eine Katze. Darf man sich da wundern –?

*

In der Morgenzeitung lese ich, daß gestern in Berlin wieder, zum 50sten, zum 100sten Mal, ein großer Trupp Deutscher von einer Partei einen kleinen Trupp von einer andern überfallen, 3 Deutsche Brüder ganz, 5 halb tot geschlagen hat. Menschen mit gleicher Sprache, aufgewachsen auf demselben Boden, den man in alten Zeiten Vaterland nannte, von dem man jetzt nicht mit diesem heiligen Worte sprechen darf, weil man Gefahr läuft, dafür totgeschlagen zu werden. Ist man in so großer Gesellschaft, daß die kleinere einen nicht totzuschlagen wagt, so wagt diese doch, das Vaterland, die Sache und das Wort, zu vergrölen, und singt die größere Gesellschaft: Deutschland über alles!, so pfeift die kleinere. Entsetzt, gramvoll lasse ich den Arm mit der Zeitung sinken und rette mich, wie in den letzten zehn, elf Jahren so oft, trostbedürftig in den Garten. Wäre das Deutsche Leben nach dem November 1918 zu ertragen gewesen ohne den Garten? O wie viele Freunde haben in unserm Garten aufgeatmet von den Greueln, die ihre Seelen in den großstädtischen Wohnungen ohne Garten niedergebeugt hatten! Unser Garten ist freies, unbesudeltes, nichtentehrtes Deutschland.

Geht man auf den von Süden nach Norden gradausführenden Mittelweg dahin, so wachsen rechts keine ›Monarchisten‹, links keine ›Demokraten‹ oder Vaterlandsvergröler, die Seerosen in dem kleinen Becken der Mitte heißen nicht und sind nicht ›Zentrum‹; nein, alle sind ein einzig Volk von Brüdern und Schwestern. Es ist eine Wonne, das Leben zwischen ihnen hinzubringen ohne das Gefühl, das jeden Deutschen packt, sowie er aus seiner Pforte auf die Straße tritt –: zerspalten, zerrissen, zerteilt, denn Partei heißt Teil. Bornim ist ein anständiges Dorf: die Roten, die Rosafarbenen, die Schwarzrotgoldenen, die Schwarzen, die Blauen, die Schwarzweißroten schlagen sich hier nicht gegenseitig tot; aber jeder ist ein Stück Partei. In unserm Garten blühen im Hochsommer mehr als 400 verschiedene Dahlien, so viele wie Volksvertreter im Reichstag prangen. Geht man an ihren Reihen entlang, so steht man, wenn man die Augen hat – uns sind sie aufgeschlossen worden –, wie liebreich sie alle zu einander sind, die höchsten, die mittleren, die niedern, die strotzendvollen, die Seerosen-Dahlien, die einfachen. Alles ein Herz, eine Seele, ein Zusammenblühn im Glanze dieses Glückes, dazusein.

Und wie vertragen sich die Rosen und die Rittersporne! Wären's nicht lebendige Wesen, wie würden viele Farben gegeneinander schreien! In unserm Garten aber stehen die Rittersporne in allen Farbschatten des Blau, des Veil, auch die weißen, die gelben, ja selbst der scharlachrote – ihr wißt wohl nicht, daß es auch den gibt – zwischen den Rosen aller, fast aller, Farben. Welch Geheimnis waltet über diesem Farbenfrieden! Wir ergründen es nicht, aber wir lernen etwas: daß die äußersten Gegensätze ohne Haß, ohne Kampf, ohne Vernichtung nebeneinander bestehen können, nur muß die Liebe zwischen ihnen weben.

Wißt ihr, was das heißt, ein langes Leben nur mit Büchern hinbringen? Sie rühren alle von einst lebendigen Menschen her, aber wieviel unlebendige Bücher sind von ihnen ausgegangen! Oft, fast täglich staune ich, wie Menschen mit Fleisch und Blut, mit atmendem Leben und pulsenden Leidenschaften so viel bedrucktes Papier hervorbringen, in die Welt schicken, hinter dem man gar keinen Pulsschlag spürt. In Deutschland, mehr als irgendwo sonst, bringen Schriftsteller es fertig, in ihren Schriften jede Spur auszutilgen, daß sie von Menschen herrühren, und von der Gattung mußte ich in meinem Leben ganze Büchereien durcharbeiten. Papier, Papier, meist bedruckt mit unechter, ungefühlter, verlogener, verschwindelter Sprache; Bücher von Deutschen, die nicht um ihr Leben zu retten Deutsch schreiben würden. Aus Haufen, aus Gebirgen solches toten Papiers floh ich – spät, nicht zu spät – ins blühende Leben, wo alles natürlich, alles echt, wahr, ehrlich ist, d. h. solange ich unsern Garten nicht verlasse. Es hat keinen Zweck, daß ich diese ungeheure Umwälzung des Gefühls-, aber auch des Gedankenlebens zu schildern versuche. Erstens ist das sehr schwer, zweitens versteht ihr es doch nicht. Verstehen kann mich nur einer, der dasselbe erlebt hat: die Flucht aus dem toten Papier ins blühende Leben hinein. Daß ich als Mensch mit einem Garten anders fühle, kann ein gebildeter Papiermensch zur Not ahnen; daß man aber zwischen Bäumen, Sträuchern, Stauden anders – nicht bloß andres – denkt, das ist dem Unglücklichen ohne Garten unzugänglich.

Der Wandel des Denkens vollzieht sich durch den Wandel der Maßstäbe, die an die Werte des Lebens gelegt werden. Ich darf wohl einmal aussprechen, daß ich Deutschland über alles liebe, selbst wenn ich schon deswegen für einen Rückständler erklärt werde. Ich liebe Deutschland sogar noch mehr als meinen Garten; ich bitte um Entschuldigung, aber es ist so. Dennoch – darf ich das sagen? – dennoch gehe ich in den sprießenden Apriltagen morgens zuerst in den Garten, um zu sehen, ob sich schon eine unsrer jungen Baumpfingstrosen aus Jokohama in Japan und aus Bublitz in Hinterpommern rührt, obwohl mich vorher, bei einem unwillkürlichen Blick auf die Morgenzeitung, eine überfette Riesenschlagzeile angeschrien hat: Stresemanns gestrige Rede. Ich gehe zuerst in den Garten und lese nachher Stresemanns gestrige Rede – so wenig, wie ich die 500 früheren gestrigen Reden dieses Deutschen Staatsmanns gelesen habe, von dem mir versichert wird, er sei der glänzendste gestrige Redner Deutschlands. Ich habe nämlich schon unzählige ebenso berühmte gestrige Redner gekannt. Mein Denkwandel ist so umwälzend geworden, daß ich glaube, die Frage, ob die Baumpfingstrosen aus Jokohama, die 7 Wochen lang in Moos verpackt den Weg um Asien und Europa nach Bornim gemacht haben, ob die nicht vertrocknet sind, sondern aufleben, wachsen und blühen werden, für mich noch wichtiger ist, als für das Deutsche Volk die Schicksalsfrage, ob der Staatsmann Stresemann wieder eine gestrige Rede gehalten hat.

Am 11. April war's – Herr Stresemann hatte wieder seine gestrige Rede gehalten –, da erblickte ich am frühen Morgen das erste rote Äuglein der ersten japanischen Pfingstrose aus dem Erdreich hervorlugen. Nun wußte ich, welche Freuden mir winkten. Und als an den zwei nächsten Morgen die zwei andern Pfingstrosen, wahre Wunder der Farbenschöne, mit ihren ersten roten Äuglein aus dem schwarzen Boden guckten, da überschlug ich abermals zwei Reden Stresemanns von vorgestern und gestern, las in meinem großen Staudenbuch von Silva-Tarouca und Camillo Schneider nach, was darin über japanische holzige Pfingstrosen steht, und war mir keines Verstoßes gegen eine vaterländische Pflicht bewußt. Nämlich kraft meiner gewandelten Maßstäbe weiß ich: die Reden des Herrn Stresemann sind alle so vortrefflich an sich, daß man sie garnicht erst zu lesen braucht, denn sie bleiben ohne jede Folge. Die von ihnen sanft gekräuselte Luft glättet sich sogleich wieder, und kein Mensch in Deutschland, selbst Herr Stresemann nicht, weiß nach wenigen Tagen, was die letzte vortreffliche Rede bewirken sollte. Wir alle wissen nur, daß sie nicht das Allermindeste bewirkt hat. Damit vergleiche man die Fülle der Wirkungen, nicht allein auf mich, die von einer einzigen schönen Blume ausgehen!

Doch selbst da, wo es sich nicht bloß um ganz so nichtige Dinge wie eine Rede, zehn Reden, hundert Reden handelt, – welch ein Unterschied zwischen allem Menschenwerk und allen Geburten der großen Zeugemutter! Ich lebe als ein Schriftsteller zwischen ihnen, lebe nicht mehr zwischen Büchern und inmitten des Geschwätzes über Bücher. Wage ich, trotz diesem in jedem Augenblick gefühlten Zustand einer höheren Welt, dann und wann ein Buch zu schreiben, so zwingt mich mein steter Verkehr mit dem Ewigen, das in unserm Garten waltet, alles, auch das scheinbar Geringe, mit dem Maßstab des Ewigen zu messen. Dies klingt überheblich; es ist in Wahrheit der Ausdruck strenger Bescheidenheit. Geplant hatte ich vor mehr als zwanzig Jahren mein Buch ›Was bleibt?‹ – in der Weltstadt; erst durch das jahrelange Leben in unserm Garten, aus dem dauernden Verkehr mit dem Vollendeten, dem unzweifelhaft Echten und Wahrhaftigen, also dem Bleibenden, erwuchsen mir der Wille und die Kraft, mein Buch anzufangen, ununterbrochen daran zu arbeiten, es zu beendigen, an meinem 76. Geburtstag,

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