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Nur einmal, vor Jahren, bin ich ihm begegnet, habe ich ihn gesehen, nur gesehen, sonst nichts. In Heidelberg war's, ich denke 1913, und – man höre und staune –: er ging menschlich selbander mit Stefan George durch die Hauptstraße ostwärts. Beide wurden mir von einem Heidelberger Professor gezeigt und genannt, aber ohne Ehrfurcht und Andacht, als ob sich's um Sterbliche, nicht um Heroen oder Halbgötter handelte. Ich frug meinen Heidelberger Freund, wo die Überirdischen ihre Seraphsflügel trügen, wohl unter den Überziehern? – es war im Spätherbst.
Über Stefan George habe ich seitdem alles Nötigste in meiner Deutschen Literaturgeschichte gesagt, hauptsächlich daß er überhaupt kein Dichter, vielmehr der geborene Nichtdichter ist. Weswegen ich von einem Teil der Poesieprofessoren für ›absolut bildungslos‹ erklärt wurde.
Über Gundolf habe ich in demselben Buche gesagt, daß er ein Schaumschläger ist. Dies muß richtig verstanden werden: er schlägt den Ruhmesschaum um sich herum nicht allein, sondern Andre helfen schlagen. Wer so alt ist wie ich, der hat mehr als einen Schaumschläger am Werke gesehen; dann ist der Schaum verdunstet und verflogen, und auf die furchtbare Schicksalsfrage ›Was bleibt?‹ ertönt die Antwort: nichts, oder ein Name in sehr dicken Literaturgeschichten; meist aber: nichts. Von Gundolf wird nichts, gar nichts bleiben.
Um seine ›Verbesserung‹ des Schlegel-Baudissinschen Shakespeare, wovon der fachunkundige Klüngel ein großes Gerühme machte, hatte ich mich nicht gekümmert, weil ich mir sagte: Ein Mensch, der Stefan George für den größten Dichter aller Zeiten hält, beweist schon hierdurch, daß er keine Ahnung vom Dichterwesen hat, – wozu also seine ›Verbesserungen‹ des verdeutschten Shakespeare lesen, prüfen? – sie werden wertlos sein.
O du mein ahnungsvoll Gemüt! – Jetzt weiß ich, daß sie wertlos sind, schlimmer als wertlos: Unsinn, Verdrehung, Verstümperung Shakespeares. Hier ist nicht der Ort zu sprach- und kunstwissenschaftlichen Einzelbeweisen; ein einziger genügt, um unwiderleglich zu zeigen: Gundolf versteht nicht Englisch, er versteht nicht Shakespeare, er versteht nichts von Dichtung. Man kann trotz diesen kleinen Mängeln ein sehr berühmter Poesieprofessor sein.
Zu allen Zeiten hat man am ›Othello‹ mit Recht bewundert, wie Shakespeare seinen unglückseligen Helden nicht als mordwütigen Eifersüchtling aufgefaßt hat, sondern grade in dem erschütternden Auftritt des 5. Akts als den Richter. Daß Shakespeare ihn so und nicht anders hat handeln lassen wollen, darüber kann es gar keinen Zweifel geben: der absichtsvolle Wortlaut läßt nicht die geringste Möglichkeit einer andern Auffassung oder Deutung oder nur Deutelei zu. Othello betritt Desdemonens Schlafgemach und spricht, schluchzt die Worte:
It is the
cause, it is the
cause, my soul,
Let me not name it to you, chaste stars!
It is the
cause.
Baudissin übersetzt richtig und gut:
Die
Sache will's, die
Sache will's, mein Herz!
Laßt sie mich euch nicht nennen, keusche Sterne!
Die
Sache will's.
Was ist hier zu ändern, zu ›verbessern‹? Cause bedeutet Sache, nichts andres als Sache, eine Rechtssache, in der Othello den Richterspruch zu vollziehen kommt. Dadurch, daß er sich als Richter fühlt und berufen glaubt, adelt er vor sich, und vermeintlich vor der Welt, sein grausames Vorhaben. Er spricht ruhig, feierlich, ohne Zorn, ohne blinde Eifersucht, – all das liegt hinter ihm. Und weil er als Richter sich geirrt, ein falsches Todesurteil gefällt und vollstreckt hat, darum richtet sich Othello nachher selbst.
Was tut Friedrich Gundolf? In seinem Dünkel, er sei auserwählt, Baudissin nicht nur, dem er nicht das Wasser reicht, sondern Shakespeare zu verbessern, schreibt er die Sinnlosigkeit hin, aus eigner Willkür:
Das ist die Tat, das ist die Tat, mein Herz!
Heißt bei Shakespeare cause etwa Tat? Kein Gedanke daran. – Gibt Tat für cause einen vernünftigen Sinn? Keinen Dunst. Aber der große Gundolf schreibt: Tat, vernichtet den Sinn des von Shakespeare meisterlich gewählten, dreimal gesetzten feierlichen Wortes des Richters Othello, macht daraus das Prahlwort eines Mörders, und dieser gradezu tolle Unfug wird von keinem ›Anglisten‹ bemerkt, oder vielmehr: kein Professor der ›Anglistik‹ wagt dem Professor der ›Germanistik‹ Gundolf öffentlich das zu sagen, was er denkt, und Gundolf heißt ›der großartige Shakespeare-Übersetzer‹, vor dem Schlegel und Baudissin verschwinden.
Gleich darauf im Othello noch ein Beweis, daß Gundolf nichts vom Englischen, nichts von Shakespeares Englisch, nichts von seinen sonnenklaren dichterischen Absichten weiß. Othello spricht: ›Sonst mit der nackten Faust fall' ich dich an!‹ Dies ist Baudissins sehr feine Wiedergabe von › naked as I am‹. Naked bedeutet an dieser Stelle nur: waffenlos, kann nichts andres bedeuten, denn Othello ist nicht nackt, er hat nur sein Schwert abgegeben. Hier ist nichts mißzuverstehen; jeder Sekundaner, der Englisch getrieben, weiß, daß naked hier nicht ›nackt‹ bedeutet. Der große Gundolf weiß dies nicht, er muß den trefflichen Baudissin verbessern, und er verballhornt den Vers so: ›Sonst nackend, wie ich bin, fall ich dich an!‹
Gustav Landauer, kein Anglist, aber ein feingebildeter Mann, jammerte über diese Tollheiten Gundolfs: ›Man möchte weinen über solche Undankbarkeit, richtiger solchen Unverstand.‹ Ich sehe doch noch mehr Anmaßung, und zum Weinen finde ich keinen Grund. Über wen denn? Etwa über Shakespeare?
Gundolf ist der Held des Klüngels, desselben der in Stefan George den größten Dichter aller Zeiten anbetet. – Schaumschlägerei! Vor Jahren saß ich vor einem Bierkrug, auf dessen Deckel stand: ›Sieh dich wohl für, Schaum ist kein Bier.‹ Es gibt bessere Reime, sonst aber fand und finde ich den Spruch vortrefflich.
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