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Im Mai 1917 bereiteten die Deutschen Behörden unsern Feinden ein großes Vergnügen: sie konnten ihren Kriegern sagen und über die ganze Welt, bis nach Indien und China, hinausbrüllen, daß die Deutschen besondere Gesellschaften für die Verwertung von Leichen, also Menschenleichen, Kriegerleichen hätten. In der Deutschen Presse, im Reichstag, in der Deutschen Regierung, im ganzen Deutschen Volk flammende Entrüstung, flammender Einspruch, – nein, nicht Einspruch, nur Protest, immer nur Protest, so wie nie Angriff, immer nur Offensive. ›Ein Gipfel der Niedertracht!‹ lautete die Überschrift eines von bekannter Deutscher Amtsstelle in allen Deutschen Zeitungen verbreiteten Aufsatzes.
Der ›Tatbestand‹ war dieser. Der Kriegsberichter einer Berliner Großzeitung hatte voll Stolz über die hinter unsrer Westfront eingerichtete ›Kadaververwertungsgesellschaft‹ berichtet; wieder einmal habe das unfehlbare Deutsche Siegesmittel, die unübertreffliche ›Orrrganisation‹, einen seiner zahllosen Triumphe gefeiert. Sogleich stürzten sich die Franzosen und Engländer auf diesen Fraß für ihre edlen ›Mentalitäten‹ und zeterten über die wirtschaftliche Verwertung von Menschenleichen, Kriegerleichen durch die scheußlichen Boches und Hunnen. Im englischen Unterhause erklärte Lord Cecil gegen besseres Wissen, mit vollbewußter Verleumdung solche Auslegung der Nachricht aus Berlin für ›nicht unglaubwürdig‹. Er selbst glaubte es nicht, aber warum sollte es nicht würdig sein, von Millionen falschunterrichteter Menschen in allen Feindesländern geglaubt zu werden?
Im Reichstag führte der Staatssekretär Zimmermann aus: ›Die Erfinder der Behauptung scheinen sich die Tatsache zunutze gemacht zu haben, daß es in Deutschland Kadaver-Verwertungsgesellschaften gibt. Darüber, daß es sich dabei um tierische, nicht um menschliche Kadaver (!) handelt, ist auch bei unsern Feinden kein Vernünftiger im unklaren gewesen (aber die millionenfach mehr Unvernünftigen?). Die Tatsache, daß das Wort › cadavre‹ (ist das etwa ein Deutsches Wort?) im Französischen (!) auf Tiere und Menschen bezogen wird, ist von unsern Feinden ausgebeutet worden.‹ Weder Herrn Zimmermann noch unsern sonstigen flammenden Protestlern ist der Gedanke gekommen, daß die Feinde sich für ihre Kriegszwecke nur die uns beschämende Deutsche Sprachverwelschung zunutze gemacht hatten. Gewiß, cadavre bedeutet im Französischen sowohl Tier- wie Menschenleiche. Warum aber wird in Deutschland Französisch, cadavre, geschrieben, statt Tierleiche auf Deutsch? Und haben wir ein Recht, von unsern Todfeinden zu verlangen, daß sie alle Feinheiten des in Deutschland üblichen Welsch beherrschen? Hätten wir ›Tierleichen‹ geschrieben, so wäre kein Feind darauf gekommen, uns zu verleumden; denn mit ›Tierleicher‹ läßt sich nichts gegen Deutschland unternehmen. Damals haben wir eine weltgeschichtliche Belehrung bekommen über den Fluch der Deutschen Krankheit, durchaus nicht Deutsch sprechen zu wollen.
Noch nach 10 Jahren, 1927, wurde die ekelhafte Verleumdung aufgefrischt. Da gaben die Engländer zu, daß sie von jeher gewußt hatten, es habe sich um Tierleichen gehandelt; nur der edle Lord Cecil, der es ebenso gut gewußt hatte, schwieg. Es gibt ein englisches Sprichwort, aber nur ein englisches: ›Im Kriege ist alles erlaubt.‹ Ihre eignen großen Schriftsteller: Thackeray, Macaulay, Carlyle haben es ausgesprochen, daß eine der unentbehrlichen Kriegswaffen Englands von jeher die bewußte Verleumdung des Feindes gewesen ist.
Daß die Deutschen die Menschenleichen zu Fett verarbeiten, hat uns in Indien und China, wohin die Verleumdung mit wohlberechneter Wirkung verbreitet worden war, furchtbar geschadet. Gelernt aber haben wir nichts daraus: ich lese nach wie vor Kadaver statt Tierleiche; denn Kadaver ist undeutsch, also gebildet, Tierleiche ist Deutsch, also gemein.
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