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Wir in Berlin kannten des guten Alten kleine Schwächen, aber man schonte sie, weil man den Mann liebhatte. Er starb 1882, auf der Höhe seines damals noch unerschütterten Ruhmes; er starb ohne den fernsten Zweifel an dessen Unverwelkbarkeit. Um jene Zeit galt Auerbach für einen der größten Deutschen Erzähler. Hört es, ihr größte Deutsche Erzähler von heute, die ihr euch samt und sonders, etwa hundert werdet ihr sein, für viel unsterblicher haltet, als einst Auerbach war, den ihr nur noch dem Namen nach kennt!
Noch war Keller, kurz nach dem Erscheinen seines zweiten ›Grünen‹ (1881), nicht entscheidend durchgedrungen, war eben erst ein Besitz der Feinschmecker, noch lange nicht aller Höchstgebildeter, geworden. Mit Recht sonnte sich Auerbach in seiner strahlenden Berühmtheit, schlürfte sie ein wie einen köstlichen Lebens- und Labetrank. Er bereitete sich diesen Hochgenuß so oft wie möglich auf belächelnswerte Weise: durch ein ebenso sehr rührendes Nachhelfen. Traf er im Tiergarten spielende Kinder, so ließ er sich mit ihnen in ein kleines Gespräch ein, war ein lieber fremder Onkel, machte die Kinder zutraulich und sagte ihnen beim Weggehen: Ihr könnt euren Eltern sagen, Berthold Auerbach hat mit euch gesprochen. Also wer hat mit euch gesprochen? – Berthold Auerbach. – So ist's recht, das könnt ihr euren Eltern sagen. Und er malte sich aus, wie beglückt die Eltern sein würden, – und die Eltern waren beglückt.
Berthold Auerbach war um 1880 unbestritten ›einer der größten Deutschen Dichter‹. Ich stand mit ihm durch mein ›Magazin für Literatur‹ damals in freundlicher Briefbeziehung, hatte ihn aber noch nicht gesprochen. Da, eines Nachmittags im Sommer 1881, läutet es an der Tür, das Mädchen meldet: Herr Auerbach – noch ahnte ich nicht, wer das wäre, Auerbach ist kein ungewöhnlicher Name in Berlin – fragen Sie, was der Herr wünscht. – Er will die Herrschaften ein bißchen besuchen.
Merkwürdig – ein unbekannter Herr Auerbach will uns besuchen? Ich gehe selbst zur Tür, – da steht der weißbärtige, kaum mittelgroße, breitschultrige alte Herr, den ich von der Straße her und nach Bildern sogleich erkannte, im Flur, reicht mir gemütlich die Hand und sagt herzgewinnend: Ich bin ja Ihr Mitarbeiter, und da ich grade vorbeikomme – er wohnte in einer nahen Straße – und argen Hunger habe, so kam ich herauf, euch um ein Butterbrot zu bitten. – Er bekam sein Butterbrot, blieb eine Stunde und ging beglückt, beglückend von dannen.
Das war auch so eine seiner kleinen Künste, mit denen der liebe Alte Volkstümlichkeit, herablassende Leutseligkeit, Patriarchengüte zu bekunden liebte. Meine Frau und ich wußten, was sein Besuch bedeutete; lachen aber konnten wir darüber nicht, wir waren gerührt. Und wie harmlos war dieses Spiel, – wir waren entwaffnet. Die Nachricht seines plötzlichen Todes aus Cannes, etwa ein halbes Jahr darauf, erschütterte uns.
Er ist erst 48 Jahre tot, – wer vom jungen Geschlecht kennt noch seine Dorfgeschichten, seine Romane? Und wie berühmt waren sie einst! Oh viel berühmter als –. Es ist doch besser, ich nenne keinen Namen. Jeder weiß, wie schnell die Unsterblichkeiten aller Zeitalter vergehen; keiner glaubt an die Vergänglichkeit des Ruhmes von heute, erst recht keiner an die des eignen Ruhmes. Glückliches Menschengeschlecht! Wer es doch auch so gut hätte!
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