Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Maximilian Harden (1861-1928)

Dies schreibe ich bei der Nachricht seines Todes. Er ist tot, und von den Toten soll man nur Gutes reden, nicht wahr? Wie aber, wenn man von einem Toten durchaus nichts Gutes reden kann? Soll man dann lügen? Man könnte schweigen, aber von Harden muß einer, der ihn genau gekannt hat, jetzt noch reden; eine Nachwelt für Harden wird es nicht geben, das nächste, jetzt schon geborene Geschlecht wird ihn nicht kennen und wird von ihm schweigen.

Harden hieß der in Deutschland geborene und erzogene Mensch, der in den Tagen, wo das Vaterland unter der mörderlichen Last des Waffenstillstands und der Friedensbedingungen verzweifelt stöhnte, angesichts der Aufrechterhaltung der Hungerseesperre in seiner ›Zukunft‹ schrieb, ungestraft schreiben durfte: Deutschland verdient sein Schicksal, denn es würde (!) das besiegte Frankreich noch grausamer behandelt haben. – Dies schrieb jener Mensch, obwohl er das Gegenteil wußte; obwohl er die gradezu liebreiche Art kannte, mit der einst das siegreiche Deutschland, voran Bismarck, Vorsorge getroffen hatte, die belagerten Pariser nach dem Waffenstillstand sogleich mit Lebensmitteln aus der ganzen Welt zu versehen.

Als Hans Delbrück dem Harden einst aus einem sehr widerwärtigen Anlaß den berechtigten Vorwurf gemacht hatte, er habe eine Dummheit begangen, da bäumte sich dieser Mensch in seiner ganzen Mannesgröße auf: einen ›Schuft‹ müsse er sich gefallen lassen, einen ›Dummkopf‹ – niemals! Das war der Mann, den manche Zeitgenossen für den ›prominentesten Publizisten seiner Ära‹ erklärt hatten.

Ich lernte Harden kennen, als er wohl 30 alt war. Wir wohnten in Berlin Haus bei Haus um die Ecke des Hafenplatzes herum und begegneten einander beinah täglich auf unserm Wege zum oder vom Potsdamer Platz. Er hatte seine ›Zukunft‹ begründet und lud mich zur Mitarbeit ein. Er war dazumal bekannt, aber noch nicht berüchtigt, – so nahm ich seine Einladung an und ließ in der ›Zukunft‹ mein kleines Selbstgesprächsdrama ›Wie Othello entstand‹ erscheinen.

Harden hatte im Verkehr eine ölige Höflichkeit, deren Unaufrichtigkeit für jeden nicht mit krankhafter Eitelkeit Behafteten sogleich erkennbar war. Solange man sich nicht aus irgendeinem Grunde seine Feindschaft zugezogen hatte, war man für ihn ein Genius, ein Meistergeist auf seinem Gebiet, eine anerkannte Größe, und es hat Menschen gegeben, die ihm solche Versicherungen glaubten. Er war der geborene Umschmeichler und mit dieser leichten Kunst hat er gar manchen verblendet, der in der Öffentlichkeit etwas bedeutete.

Nie ist mir ein zweiter Mensch begegnet mit solcher Unfähigkeit zu irgendeiner Überzeugung, mit solcher Rückgratlosigkeit, wie Harden. Dazu ein Größenwahn besonderer Art, lauernd, zurückhaltend, aber unstillbar. Er, der ehemalige kleine Schauspieler ohne Erfolg, hielt sich zum Höchsten befähigt, berufen: zum Staatsmann großen Stils. Weil der in Friedrichsruh grollende Bismarck sich Hardens bediente, um seinem Haß gegen Wilhelm 2. und dessen Umgebung Ausdruck zu verleihen, gewöhnte sich Harden an den Gedanken: er selber sei ein heimlicher Staatsmann voll der tiefsten Einsichten. So wurde er schnell zu einem der Praeceptores Germaniae, deren wir seit 1890 mehr als einen am Werke gesehen haben: Langbehn, Harden, Avenarius waren die bekanntesten.

Wie oft Harden als Gast in Friedrichsruh gewesen, ist nicht mehr festzustellen. Nach seiner eignen Fabelei wäre er der jahrelange Dauergast des Fürsten Bismarck gewesen; die Vertrauten des Hauses haben von nur drei kurzen Anwesenheiten Hardens berichtet. Was dieser über Bismarcks Herzensergießungen an ihn, den Busenfreund Harden, erzählt hat, füllt Bände. Drei Jahrzehnte hindurch nach Bismarcks Tode hat er mit dessen Enthüllungen die eigne Überstaatsmannschaft bewiesen.

In den Deutschen Schulen wird Unterricht erteilt im lateinischen, griechischen, französischen, englischen, aber nicht im Deutschen Stil. Keiner von uns Lebenden hat je gelernt, was Deutscher Stil ist, weder was guter, noch was schlechter. Auch an keiner Deutschen Hochschule wird eine Vorlesung über Deutschen Stil gehalten –: so wurde es möglich, daß manche sonst sozusagen gebildete Menschen von Harden als ›Deutschlands größtem Stilisten‹ sprachen. Nach Hardens Tode ist Thomas Mann auf dessen Platz gerückt, und an Rudolph Borchardt, dem Meistersinger der preziösen Bandwurmweis, rühmen einige Gewaltner der Presse den ›strengen Monumentalstil‹. Ja solche spaßhafte Dinge kommen in Deutschland vor; man nennt diesen Zustand: kulturell. Ich war nicht der Erste und nicht der Einzige, der Harden früh für einen der Meister des schlechtesten aller Stile, des widernatürlichen, gezierten, preziösen Schmockstils, hielt; aber ich war der Erste, vor Karl Krauß, der dies dem Gefürchteten gegenüber offen auszusprechen und durch Beispiele zu beweisen wagte: in dem Abschnitt meiner Deutschen Stilkunst: ›Natur und Unnatur‹ (1911). In jedem Lande mit einiger Sprachbildung wäre ein Stilklaun wie Harden unmöglich gewesen; die Lächerlichkeit seiner Ausdrucksform hätte ihn zu einer drolligen, zugleich widerwärtigen Gestalt des öffentlichen Lebens gemacht. Weder in Frankreich noch in England noch in Italien hat es je solchen abstoßenden Sprach- und Stilhanswurst gegeben; selbst d'Annunzio hat in seinen schlimmsten Stilproben stets gutes Italienisch geschrieben. In Deutschland konnte ein Schreiber wie Harden zu dem berauschenden Ruhm gelangen, für viele junge Anfänger das bewunderte und beneidete Vorbild zu sein. Man denke: ein Mensch, der absichtsvoll, nur um des Verblüffens willen, keinen Satz so schrieb, wie er dem Geiste der Deutschen Sprache, der Denkform jedes vernünftigen Menschen entsprach, sondern der, als der eingefleischte Schmierenspieler und Gaukler, der er sein Lebenlang gewesen, den albernsten Schmockstil schrieb, die einfachsten Dinge nie bei ihrem Namen nannte, sondern mit Blümelein, mit ›Blumenkohl‹ sich den Anschein eines wunderwie großartigen Stilkünstlers zu geben suchte. Und es gelang ihm: er wurde nicht ausgelacht, sondern angestaunt, – er wurde sehr berühmt. Die jüngeren Leser von heute, die keine Ahnung mehr haben, wer Harden und was für ein Schreiber er war, seien auf den vorhin genannten Abschnitt meiner ›Deutschen Stilkunst‹ verwiesen. Man könnte ein ganzes Wörterbuch der ›Schmocksprache‹ aus Hardens Aufsätzen zusammenstellen.

Merkwürdig ist es mir und meinen Freunden geblieben, daß Harden sich nie an mir zu rächen versucht hat. Bei dem giftigen Haß und der bedenkenlosen Verleumdung, deren er fähig war – ein neuzeitlicher Pietra Aretino –, wäre es ihm, der über eine ganze vielgelesene Wochenschrift gebot, sehr leicht gewesen, mich mit dem ihm geläufigen schmocksprachlichen Unflat zu bewerfen. Ich vermute, er hat sich gesagt: pah, in Deutschland, wo in Fragen des Stils der vollkommne Stumpfsinn herrscht, hat die Behauptung eines Einzelnen, daß ich schlecht schreibe, nicht die geringste Bedeutung. Gefürchtet hat Harden mich gewiß nicht, und mit Recht; gehaßt hat er mich, wie er jeden gehaßt hat, der ihn in seiner Schmiereneitelkeit im mindesten verletzt haben mochte.

Nie zuvor hatte es in Deutschland einen Schreiber gegeben wie Harden. Pückler war ein Klassiker gewesen im Vergleich mit ihm. Erst nach Jahrzehnten, eigentlich erst nach dem Weltkriege begann es in den Gehirnen zu dämmern: Dieser einst berühmtgewesene Harden war ja ein für Menschen mit einem Funken von Stilgefühl unmöglicher Schmierer. Die Nachwelt hatte für Harden begonnen, – er hatte die 60 überschritten, und in dem Alter erlebt jeder Scheinruhm seine eigne Nachwelt: das Berufungsgericht bereitet seinen Spruch vor. Heute steht es so: ein Deutschlehrer, der seinen Schülern zeigen will, was erbärmlicher Stil ist, braucht mit ihnen nur einen einzigen beliebigen Aufsatz Hardens nachzuprüfen. Aber das wird nicht geschehen, denn es gibt keinen Deutschlehrer, der seine Schüler über Deutschen Stil belehrt. Deutscher Stil gehört nicht zum ›Pensum‹; Deutscher Stil spielt keine Rolle im ›kulturellen‹ Leben Deutschlands.

*

Sachlich stand es mit Hardens Geschreibe so: er wartete immer ein Weilchen ab, wohin sich die öffentliche Meinung über irgendeine Tagesfrage wenden mochte, und verteidigte dann seine gegensätzliche Meinung. Seine? – nein, denn er hatte keine Meinung; aber mit dem Behaupten des Gegenteils erregte er Aufsehen, und das allein wollte er, denn davon lebte seine Berühmtheit und – der Absatz der ›Zukunft‹. Da die öffentliche Meinung, die der Mehrheit, sich oft irrte – Verstand ist stets bei Wenigen nur gewesen –, so traf Harden mit seiner Verteidigung des Gegenteils mehr als einmal das Richtige. Zuweilen aber fiel er mit seinem Hauptkniff hinein und erwies sich nicht bloß als ein Quer-, sondern als ein Dummkopf, und das war ihm, sobald es gar zu offenkundig wurde, sehr unangenehm. So z. B. bei dem Dreyfus-Fall, wo er – selbstverständlich nicht aus Überzeugung, sondern nur um des Geschäftes willen – an Dreyfus' Schuld zu glauben erklärte, als schon das französische Kriegsministerium nicht mehr daran glaubte. Damals, 11 Jahre vor dem Erscheinen meiner ›Deutschen Stilkunst‹, habe ich mein letztes Gespräch mit ihm geführt, im Lessing-Theater, wohl um 1900. Einer feiner beweislosen Sätze gegen Dreyfus war in einem Aufsatz der ›Zukunft‹ so nebenher gedruckt worden, und ich frug ihn: ›Sie glauben also an die Schuld von Dreyfus und an die Unschuld Esterhazys?‹ In meinem Ton muß mitgeklungen haben: ›Dann sind Sie ja ein Erzdummerjan.‹ – ›Sie nicht?‹ frug er entgegen. Ich lachte nur, wie man lacht, wenn man eine Albernheit wortlos abwehrt. Er wurde ganz kleinlaut, er sah sich durchschaut, – ich glaube, Starben hat mich für keinen Dummkopf gehalten. Norton verschwanden aus der ›Zukunft‹ die lächerlichen Anspielungen auf Dreyfus' Schuld. Harden hatte vom Anbeginn gewußt, daß Dreyfus unschuldig war.

Über die Rolle dieses Menschen im staatlichen Leben Deutschlands lauteten die ehrlichen Urteile bei seinem Tode übereinstimmend: Er war ein Schädling seines Vaterlandes. Soweit es für die von ihm begangenen Verbrechen gegen das eigne Land eine Strafe geben kann – in Deutschland gibt es keine von Amtswegen –, hat er sie erlitten. In der verblendenden Eitelkeit des Komödianten, der zu sein er nie aufgehört, hatte er fest geglaubt, das Umsturz-›Kabinett‹ werde ihn, Maximilian Harden, als Botschafter nach Washington schicken, beglaubigt bei dem von ihm seit Monaten umschmeichelten Wilson, dem Verderber Deutschlands. Er hatte diese Berufung um so sichrer erwartet, als er mit Walter Rathenau, der es zum Außenminister gebracht, engbefreundet gewesen war. Als dieser ›Arrivierte‹, wie Harden höhnte, dem ehemaligen Freunde die kalte Schulter zeigte, als der Botschafterposten ausblieb, als auch sonst der große Staatsmann Harden nicht die kleinste Anerkennung bei den neuen Regierern fand, da spie er bis an sein Ende Gift und Geifer gegen Rathenau und dessen Amtsgenossen im ›Kabinett‹, wütender noch als 25 Jahre hindurch gegen Wilhelm 2. Es war ein öffentliches Geheimnis, daß Hardens Haß gegen den Kaiser daher rührte: er hatte diesem einst seine Feder angeboten, war aber kühl abgewiesen worden.

Sollte die Deutsche Geschichte den Namen Hardens aufbewahren, so wird sie ihn nennen einen der gewissenlosesten Feinde des Vaterlandes. Sie wird ihn aber überhaupt nicht nennen; sie wird so viel Arbeit finden bei der Schilderung der Schwerverbrecher des Zeitalters Wilhelms des Zweiten bis zum Versailler Vertrage und nachher, daß sie auf diesen verhältnismäßig untergeordneten Schädling nicht achten wird. Man täuscht sich ungeheuer über die Dauer von Berühmtheiten unsrer Zeit; es gibt ›Weltberühmte‹, die spurlos vergessen werden, selbst wenn sie weltberüchtigt waren.

*


 << zurück weiter >>