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Alfred von Tirpitz (Geboren 1849)

Nur am Bundesratstisch im neuen Reichstag habe ich ihn gesehen und gehört, seit 1897. Er war ein zu sachlicher Mann, um ein Redner zu sein, und er fühlte wohl stets, daß er bei dem größern Teil des Hauses, auch bei der Rechten, nicht beliebt war. Sein Vortrag war nüchtern und für Landmenschen zu fachmännisch. Wo er eine Mehrheit für seine Pläne gewann, da geschah das nicht durch die Macht seiner Rede, sondern durch die feststehenden Mehrheiten je nach dem Zusammenschluß von sogenannten Regierungsparteien. Mit seiner sachlichen Überlegenheit erinnerte er mich an Heinrich Stephan, nur daß dieser noch dazu ein gewinnender Redner war.

Gescheitert ist Tirpitz, mit ihm wir alle, an einem Mangel der höchsten Mannestugend: des Mutes und der Kraft, den preußischen Offizier in der Stunde äußerster Not in sich zu bezwingen, sich über ihn hinauszuschwingen und nur der leidenschaftliche, der wütende Verteidiger des bedrohten Vaterlands gegen jeden Widerstand zu werden, auch gegen den eines übelberatenen obersten Kriegsherrn. Für den Deutschen Offizier waren Vaterland und Fürst eins. Daß eine Weltlage eintreten kann, in der es nur oder zuoberst das Vaterland gibt, war dem Offizier in Deutschland unfaßbar. Nicht jeder Offizier kommt in solche Ausnahmslage, aber einer wie Tirpitz mußte sich sagen: Ich bin zu allererst ein Staatsmann, ein Feldherr, für mich steht das Heil des Vaterlands höher als der mißleitete Wille des Fürsten; ich bin in solchem Augenblick nicht mehr, nicht nur der Offizier, der stumm gehorcht und das Vaterland, das Höchste auf Erden, zugrunde gehen läßt, weil er stumm zu gehorchen hat.

Dies hat das Deutsche Volk in der Stunde der Entscheidung gefühlt, als Tirpitz sich verabschieden ließ, wie jeder Offizier das hinnehmen muß. Dies fühlt unser Volk noch heute: Tirpitz hat nicht den Grad des Mutes gehabt, den die gewaltige Zeit von ihm forderte, von ihm vor allen Andern. Ein Flottenminister, der sich den Zutritt zum Kaiser durch einen Herrn Müller, den Marinekabinettchef, versperren läßt und der duldet, daß dieser Herr Müller, meinethalben von Müller, den Kaiser in den Weltfragen der Flotte überhaupt berät! Der nicht sogleich beim Ausbruch des Krieges vom Kaiser erzwingt, daß die Verwendung der Flotte ausschließlich in seine, des seit 21 Jahren verantwortlichen Leiters, Hände gelegt, der Herr von Müller entlassen wird, und daß der Kaiser mit dem einzigen Manne berät, der die volle Verantwortung zu übernehmen bereit ist! Tirpitz läßt vom Ausbruch des Krieges an die elende Kabinettswirtschaft ihr Spiel treiben, jammert darüber in seinen Lagebuchbriefen, findet nicht den Mut, durchzugreifen. Er läßt gehen, obwohl er Böses ahnt; er sagt ›Zu Befehl, Majestät‹ und läßt die Unfähigen, die Entschlußlosen den entschlußlosen Kaiser beeinflussen. Man denke sich Bismarck und Moltke in die gleiche Lage! Einen zum Äußersten entschlossenen Tirpitz hätte Wilhelm 2. nicht zu entlassen gewagt. – Was das Äußerste war? Dem Kaiser mannhaft, nicht in Ehrfurcht ersterbend, zu erklären: Vaterland und Kaiser und Herrscherhaus gehen zugrunde, wenn unberufene Schwächlinge den Kaiser beraten dürfen statt der durch ihr Amt dazu berufenen Männer. Gegen die Müller-Wirtschaft schroffsten Einspruch zu erheben, das hat Tirpitz wider seine bessere Einsicht unterlassen. Er selbst hat in seinem letzten Buche gesagt, warum: weil der preußische Offizier in ihm übermächtig war. Also der preußische Offizier läßt sehenden Auges das Vaterland, das zu schützen und zu retten seine einzige Lebensaufgabe ist, zu Grunde gehen, weil die Rettung nur möglich ist durch schroffes Auftreten gegen einen Fürsten, der den Unverantwortlichen die Führung überläßt.

In einem seiner Erinnerungsbücher sagt Tirpitz: Das Deutsche Volk hat die See nicht verstanden. Das ist offenkundiges, schreiendes Unrecht. Das Deutsche Volk hatte die See, hatte die Bedeutung der Flotte verstanden. Es hatte sie mit Befürchtungen wachsen sehen, denn es wußte, England werde eines Tages gegen das weitere Anwachsen Einspruch erheben. Als aber der Krieg ausbrach, da hatte das Deutsche Volk die Zuversicht, wir könnten es wagen, und im Volke, gleichwie in der Flotte, herrschte der Wunsch: Ran an den Feind! – Wer von der See, der Flotte nichts verstand, das waren einige Männer in den höchsten Flottenstellungen. Sie waren die entscheidenden Berater des Kaisers, und Tirpitz hat dies beinah zwei Jahre geduldet. Er hat nicht mit der schroffsten Entschiedenheit die Änderung jenes ins Verderben führenden Verfahrens gefordert.

Ob es ihm gelungen wäre, seine Forderungen durchzusetzen, ist fraglich; aber die Forderungen mußten so gestellt werden, wie Bismarck sie gestellt haben würde. Dieser hat in jedem weltgeschichtlichen Augenblick – man denke an Nikolsburg, an Benedetti in Ems – die Ehre und das Schicksal des Vaterlandes höher gestellt als den Gehorsam gegen den obersten Kriegsherrn. Und wer hätte Tirpitz hindern können, dem von den Schwächlingen umstrickten Kaiser zu erklären: Ich gehe, aber ich werde dem gefährdeten Vaterlande sagen, warum ich gehen mußte.

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