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Friedrich Althoff (1839-1908)

Aus allen preußischen Unterrichtsministerien der letzten 60 Jahre ist außer Mühler, allenfalls noch Wiese, Althoff die einzige Gestalt, deren Andenken bis heute lebendig geblieben. Er war nie Minister, nicht einmal Unterstaatssekretär, hatte es nie sein wollen, obgleich er es hätte werden können. Er war und blieb der Ministerialdirektor für die preußischen Hochschulen und die damit zusammenhängenden Anstalten. Minister wollte er nicht werden, weil er dann mit Widerständen in beiden Häusern des Landtags zu schaffen bekommen hätte, und diese Widerstände waren nicht leicht zu brechen, jedenfalls nicht durch die Macht der bloßen Persönlichkeit. Althoff zog seinen Platz vor, an dem er so gut wie unbeschränkt herrschen wollte, konnte und geherrscht hat. Die Unterrichtsminister kamen und gingen, Althoff blieb, denn er war nicht zu entbehren.

Will man den beherrschenden Wesenszug Althoffs nennen, so muß man sagen: er war der beste Kenner, Verächter und Beuger des Professorendünkels. Er war einst selbst Professor, der Rechte glaube ich, in Straßburg gewesen und hatte hineingeblickt in die Seelen der Vielen, die sich selber Halbgötter – mindestens – dünken, weil sie festangestellte Beamte der Wissenschaft sind. Kein andres Land der Welt kennt solchen Hochmut der Wissenschafter. Dieses Gebrechen zerstört bei sehr vielen Deutschen Hochschullehrern die Feinblüte grade der Vornehmheit, die aus jeder Arbeit für die Wissenschaft ersprießen sollte. Kraft seiner festen Anstellung bläht sich der durchschnittliche Hochschulprofessor in Deutschland über jeden auf, der sich aus freier Liebe mit der Wissenschaft befaßt, ohne festes Gehalt und ohne Anwartschaft auf den Geheimratstitel, diesen Gipfel der Sehnsucht jedes staatlich abgestempelten Lehrers. Männer wie Gibbon, Darwin, Carlyle, Ruskin, Taine, Renan, diese Forscher und Darsteller ohne Bestallung, würden in Deutschland für ›Dilettanten‹ gelten, so wie Schopenhauer und Eduard von Hartmann in den Augen der Deutschen Universitätsprofessoren der Philosophie ihr Lebenlang für Dilettanten gegolten haben, denn sie haben nicht zu den ›Festbesoldeten‹ gehört. Wie gesagt: diese durch und durch niedrige, ›subalterne‹ Auffassung und ihr entsprechende Gebarung gibt es einzig in Deutschland.

Althoff, der ehemalige Professor und dann allmächtige Ministerialdirektor, dachte ganz anders: darum war es seine Wonne, sein Kitzel – der Fremdwörtler sagt: Sadismus –, die hochmütigsten Gelehrten, wenn er sie als Streber kannte, vorzimmern zu lassen, bis sie – nicht grade schwarz, aber ›fahl‹ wurden, um einmal im Leben mit Stefan George zu reden. Ich spreche aus Erfahrung, aber nur aus der des zuschauenden Dritten, der sich nach dem alten Römerworte dessen freut. Mich, den nicht festbesoldeten Außenseiter, hat Althoff sehr oft ins Ministerium – ›Eingang von der Behrenstraße‹ – eingeladen, mich dann sogleich vorgelassen, sogar selbst aus dem Vorzimmer herausgeholt, wo ich merkwürdige Wartende an den Wänden aufgereiht gesehen, und sich dabei sichtlich an der Wut der Unbeachteten geweidet. Manchem war ich bekannt, verdientermaßen verhaßt, und dieser Mancher hat später bei passender Gelegenheit, z. B. bei einem namenlosen Rezensiönchen, Rache genommen für jene ›furchtbare Gunst dem Knaben‹.

Wie ich mit Althoff bekannt geworden? Auf dieselbe merkwürdige Art, auf die ich öfter im Leben zu wertvollen Freundschaften gekommen bin: durch einen Zank, durch meinen ›Zorn‹, wie Althoff sich ausdrückte, nämlich so. Ich hatte mich 1897 nach London begeben müssen, um für die letzten Abschnitte einer neuen Auflage meiner Geschichte der englischen Literatur im Britischen Museum die notwendigsten Quellen zu benutzen; die königliche Bibliothek zu Berlin hatte völlig versagt. Aus meiner Mißstimmung über diesen erbärmlichen Zustand der ersten Bücherei Deutschlands hatte ich kein Hehl gemacht, hatte starke Worte gebraucht über solchen Schaden, der einen wissenschaftlichen Arbeiter zwänge, ansehnliche Kosten aufzuwenden, um im Auslande das Allernotwendigste zu finden, nicht etwa Seltenheiten. So fehlte z. B. das neuere englische Drama in der Königlichen ganz. Einer der Oberbeamten, der selbst an diesem Zustande unschuldig war und das Ohr Althoffs hatte, hinterbrachte ihm meine Äußerungen, wenig abgeschwächt, und sogleich ›erfloß hochortlich‹, wie man in Wien sagte, wohl noch sagt, Althoffs Befehl, die schlimmsten Lücken auszufüllen. Ich wurde sogar – man denke, – aufgefordert, ein Verzeichnis der ›Desiderien‹ anzufertigen. Nun aber war der Gewaltige neugierig, den Verwegenen kennen zu lernen, der gewagt hatte, die Katze beim Namen zu nennen, von ›Schlamperei‹, von ›Winkelleihbibliothek‹ zu sprechen, und ohne Vornehmtuerei begab sich der Prophet zum Berge, denn der Berg war nie zum Propheten gekommen. Althoff suchte mich in meiner Wohnung auf – keiner wollte das glauben, als ich es erzählte –, traf mich nicht an, wohl aber meine Frau, und dieser hielt er nun einen donnernden Vortrag – er donnerte meist, konnte aber auch fein und besonders boshaft flüstern – über ihren Mann. Er muß mich arg gelobt haben – er sprach von meinen Büchern –; nur habe er, so berichtete mir meine Frau, gesagt: mein Fehler sei, ich behandle gleich alles › ab irato‹. Meine Frau sprach mehr Sprachen als Althoff, aber vom Latein verstand die Gute nicht viel, wußte nicht, was er damit gemeint hatte, und fragen hatte sie nicht können, denn er allein führte das Wort, das sehr laute und großmächtige.

Ich dankte ihm schriftlich für seinen Besuch, fügte hinzu: das › ab irato‹ sei meine beste Eigenschaft, denn um irgendetwas zu leisten, müsse man den Teufel im Leibe haben, wie schon Luther gesagt und Keller geschrieben, und ich gedächte es damit in Zukunft zu halten wie die Massows. Umgehend kam von Althoff eine Einladung ins Ministerium: er könne, überlastet wie er sei, nicht zu mir kommen, bitte mich aber, ihm meine Rätsel mit Luther, Keller und den Massows zu deuten. Ich ging zu ihm und genoß das wohltuende Schauspiel: die Wände besetzt mit wartenden ›Prominenten‹ aller Grade – vom Privatdozenten an – und aller Fakultäten, deren jeglicher von Althoff dem großen Gnadenspender irgend etwas wollte, die meisten ein und dasselbe, was erraten werden möge. Einige erkannten mich, sahen als die Halbgötter, die sie waren, von hochoben auf mich nieder, denn sie konnten sich nichts andres denken, als daß ich ein kleiner Bettelbittsteller sei. Ich gab dem Diener meine Karte, – nach wenigen Sekunden stürzte der riesige Althoff selbst ins Vorzimmer, der Diener deutete auf mich, der Gewaltige nahm mich untern Arm und schritt, großartig an allen Weltkörpern der Wissenschaft vorbei wie durch Luft sehend, mit mir dem Niemand in sein Arbeitszimmer.

Er begann das Gespräch: ›Was sagt Luther und was Keller, und wie ist's mit den Massows?‹ Ich hatte mir's auf einem Blättchen aufgeschrieben und las von Luther:

›Ich habe kein besser Werk denn den Zorn und Eifer. Denn wenn ich wohl dichten, schreiben, beten (!) und predigen will, so muß ich zornig sein, da erfrischt sich mein Geblüt, mein Verstand wird geschärft und alle unlustige Gedanken und Anfechtungen weichen.‹

Dann von Keller:

›Wer keine bittern Erfahrungen und kein Leid kennt, der hat keine Malice, und wer keine Malice hat, bekommt nicht den Teufel in den Leib, und wer diesen nicht hat, der kann nichts Kernhaftes arbeiten.‹

Dann: Herr Geheimrat, Sie kennen nicht den Wappenspruch der Massows? – Nee. – Also:

Massow
Was so,
Is so,
Bliwwt so.

So denke ich über mein › Ab irato‹. – Er lachte, lachte: Das mit den Massows muß ich mir merken, so was macht dem Kaiser Spaß.

Er behielt mich eine gute halbe Stunde bei sich, sprach mit mir über alles Mögliche, über meine ›Griechischen Frühlingstage‹, die habe er im Sommer nach Schierke mitgenommen und gelesen; dann sprach er hold von meiner Frau, fand ihr Deutsch entzückend – es war entzückend –, und verabschiedete mich mit der Bitte: in jedem Fall, wo ich mit der Bibliothek wieder unzufrieden sein sollte, mich sogleich an ihn zu wenden. – Ich hatte das niemals nötig.

Noch oft bin ich von ihm ins Ministerium eingeladen worden; immer war er mir derselbe – ja wie soll ich sagen? – nicht Gönner, denn ich wollte nichts von ihm, nicht Titel noch Orden, aber ein sachlicher Frager, Zuhörer und Entscheider. Alljährlich im Sommer bekam ich aus Schierke, seinem ständigen Urlaubsaufenthalt, von ihm ein buntes Postkärtchen mit ein paar freundlichen Worten, fast immer über ein gelesenes Buch von mir. Ich erwies mich erkenntlich durch eine bunte Postkarte von jeder größeren Reise in ein fernes Land, aus Olympia, Konstantinopel, einmal aus Egypten durch eine Karte mit dem Bilde des großen Ramses, in dessen Munde man noch den letzten Zahn des großen Königs sah. Ich schrieb dazu: ›Der Zahn des Königs auf seinen Kultusminister‹, was ich für geistreich hielt, und Althoff schrieb mir später darüber: ›Die andern hat der Zahn der Zeit zerstört‹, was er für noch geistreicher gehalten haben muß.

Das den Mann wohl am schärfsten kennzeichnende Wort über die Stellenbettelei war das verbürgte bei der Nachricht, daß einer der eifrigsten Ämterjäger, den man weitweg ins Ausland gelobt hatte und der dort gestorben war: ›Was setzen wir dem auf seinen Leichenstein? An dieser Stelle ruht …, an der einzigen, um die er sich niemals beworben hat.‹

*

Sudermann hat in seinem Roman ›Der tolle Professor‹ ein meisterliches Bild Althoffs gezeichnet, natürlich ohne ihn zu nennen, mit einiger, künstlerisch gebotener, Übertreibung der Menschenverachtung, die über Althoff in seiner langen Amtsführung als Oberherr der preußischen Universitäten gekommen war.

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