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Friedrich Ebert (1871-1925)

Gesehen habe ich ihn nur einmal, flüchtig. Mein Eindruck: würdige Bescheidenheit, bescheidene Würde. Er betrat um die Mittagsstunde den Riesenraum des Zirkus Busch in Berlin, um einer großartigen, überwiegend vaterländischen Musikaufführung beizuwohnen. Die ihm erwiesene Ehrerbietung nahm er hin nicht nach Fürstenart wie eine Selbstverständlichkeit, sondern mit der dankbaren Anerkennung, daß man dem Oberhaupte Deutschlands das gebe, was ihm gebühre. Man las in seinen Zügen und zurückhaltenden Gebärden: Meine Person gilt nichts, alles nur mein Amt, und ob Gottes Gnade mich umschwebt, davon weiß ich nichts. Die ihn empfangenden und ihn begrüßenden Herren fühlten alle: Dieser Mann ist in sich so gefestigt, daß er keine Unterwürfigkeit duldet. Die paar Augenblicke dieses Empfanges haben auf mich einen viel würdigeren Eindruck gemacht, als das in Demut Ersterben bei allen Empfängen von Fürsten, die ich je mitangesehn. Jeder stand aufrecht, keiner kroch. Liebe des freien Manns –!

Einmal bin ich in eine sachliche Beziehung zu ihm gekommen, die erwähnt zu werden verdient. In der wüsten Zeit nach dem Friedensschluß, als die Deutsche Währung von Tag zu Tag tiefer stürzte, gerieten unsre neugebacknen Ämter aller Art in eine wahre Besessenheit, dem ohnehin gepeinigten Deutschen Volke immer drückendere Fesseln anzulegen durch Verbote, umständliche Zwangseinrichtungen, Gewaltmaßregeln ohne Sinn und ohne Erfolg. Zu den zahlreichen Sinnlosigkeiten dieser Art gehörte das Verbot der Bücherausfuhr, wie denn überhaupt die ganze Ausfuhr unter den strengsten, vielfach gradezu verrückten Bestimmungen litt. In Leipzig wurde eine besondere Behörde eingesetzt, in der sich neugebackene Beamte paschamäßig gebärdeten und ›in Aktion‹ traten. Da saß ein ganzer Stab von höheren, mittleren und unteren ›Funktionären‹, bei denen man demütig die Erlaubnis nachsuchen mußte, ob man ein Buch an einen Freund im Auslande, etwa ein Widmungsstück, ein Weihnachtsgeschenk, ein ihm nützliches Gebrauchswerk schicken dürfe. Bei allen Deutschen Schriftstellern steht jenes Leipziger Amt, die ›Bücherausfuhrgenehmigungsstelle‹, noch jetzt in schauderhafter Erinnerung. Wie immer unsre damaligen Finanzgewaltner über die Gefahr oder die Rätlichkeit des Bücherausfuhrhandels denken mochten – das Ausfuhrverbot wurde ja bald als Blödsinn erkannt –, für die Schriftsteller handelte es sich ja garnicht um Bücherverkauf, sondern um den Kunst-, Wissenschafts- und Freundschaftsverkehr von Land zu Land, meist um den von Deutschen Schriftstellern mit befreundeten Deutschen Lesern im Ausland.

Als ich mich an das Leipziger Amt mit dem fürchterlichen Titel um eine Ausfuhrerlaubnis wandte, erhielt ich ein gedrucktes Belehrungsblatt, unter welchen Bedingungen ich eine solche Erlaubnis nachsuchen könne. Das Blatt war in einem Deutsch abgefaßt, das eine Schande gewesen wäre für jedes noch so untergeordnete Amt im zweisprachigen Oberschlesien. Es war offensichtlich von irgendeinem bildungslosen Menschen hingeschmiert, den kein gebildeter Beamter beaufsichtigt hatte. Die Bedingungen selbst waren ebenso unverständlich wie zwecklos, wenn man sie zu verstehen glaubte. Als ich mich noch einmal an die Leipziger Erlaubnisstelle wandte, man möchte mir diese und jene ganz unverständliche Stelle erklären, bekam ich eine Antwort in ebenso bildungslosem Deutsch, die nichts erklärte, sondern neues Gefasel darbot. Unterzeichnet aber war diese Antwort von dem Obergewaltner jener Stelle, von dem es hieß, er sei ein Mensch mit Bildung und gutem Willen. Er hatte das Schriftstück nicht gelesen, sondern mit hundert andern maschinenmäßig ›ausgefertigt‹ und mich solchermaßen nach der Machthabermode jener Zeit abgefertigt. Was mir geschah, war vielen Deutschen Schriftstellern ebenso geschehen, und es herrschte gegenüber jenem Zustand eine Verachtung und Wut, die sich in täglichen Zuschriften an die Zeitungen Luft zu machen suchte.

Ich strich die gröbsten Sprachfehler und die blödsinnigsten Bestimmungen mit Rotstift an, versah jeden Strich mit dem gebührenden rücksichtslosen Urteil, milderte keinen Ausdruck, schrieb ›Unsinn, lächerlich, albern, unausführbar, Schande für die Reichsverwaltung‹ und verfaßte dazu einen kurzen höflichen Brief an den Reichspräsidenten Ebert, worin ich ihn um sofortige Hilfe in einer Notlage ersuchte. Am Übermorgen früh bekam ich aus Leipzig von jener Erlaubnisstelle einen dicken eingeschriebenen Eilbrief mit 100 Ausfuhrzetteln zum Aufkleben auf Kreuzbandbücher und mit einem Entschuldigungsschreiben: bei der Eile, mit der jene Behörde geschaffen worden, seien ›Fehlgriffe im Personal‹ vorgekommen.

Ob Herr Ebert mein Schreiben selbst gelesen oder nicht, – jedenfalls ist aus seiner Kanzlei der drahtliche Befehl nach Leipzig ergangen, dem Beschwerdeführer umgehend das zu senden, um was er gebeten. Der Bann war gebrochen: jene Ausfuhrstelle hat fortan jedem Schriftsteller, der um die Erlaubnis bat, seine eignen Bücher, oder auch andre, beliebig zu versenden, ohne weiteres die erforderlichen Aufklebezettel zugestellt. Ich verglich dieses Verfahren der präsidentschaftlichen Kanzlei mit dem der Vorkriegsregierung. Unter dieser wäre ein so haarsträubender Blödsinn wie das Ausfuhrverbot gegen eigne Bücher wohl unmöglich gewesen; ob aber die Abhilfe eines schreienden Notstandes dazumal ebenso schnell erfolgt wäre wie unter der Präsidentschaft Eberts?

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