Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wenn ungebildete und übelwollende Franzosen über Deutsche Sitten spotten wollen, so erzählen sie einander, die Deutschen nähren sich vorzugsweise von Sauerkraut, sind den ganzen Tag über mit langen Pfeifen im Zimmer und auf der Straße zu treffen, und jeden Satz beschließen sie mit ›Kollossaal!‹ Dies ist übertrieben, denn es gibt Deutsche, die nicht jeden Satz mit ›Kollossaal!‹ beschließen. Gebildete oder gar gelehrte Franzosen kennen uns besser und sagen von den Deutschen: sie können keine Seite schreiben, ohne mit ›Subjektiv‹ und ›Objektiv‹ anzurücken. Auch dies ist übertrieben: ich kenne Deutsche Schreiber, nicht viele, aber einige, die nicht auf jeder Seite Subjektiv und Objektiv sagen; ich kenne sogar einen mir sehr nahestehenden Schreiber, der jene zwei Verblödungswörter nie gebraucht. Rechnet man aber die kleine Übertreibung ab, so haben die gebildeten und gelehrten Franzosen Recht: ohne Subjektiv und Objektiv kein Geistesleben in Deutschland.
Ich lese auch wissenschaftliche Bücher andrer Völker, der Franzosen, Engländer, Amerikaner, Italiener –: stoße ich einmal auf eins jener Wörter, so stutze ich ob der äußersten Seltenheit; bei näherer Prüfung entdecke ich, daß die andern Völker die beiden Wörter in einigen ganz seltenen Ausnahmefällen reinwissenschaftlich und richtig gebrauchen, immer nur in philosophischen Darstellungen. In Deutschland hingegen gehören Subjektiv und Objektiv zum unentbehrlichen Wörterschatz der geistigen Verlogenheit, des wissenschaftelnden Schwindels, ja der sprachlichen und gedanklichen Verblödung. Beide Fremdwörter haben durch das Übermaß des Gebrauchs zur schwindelnden Gelehrttuerei jeden Wert, jeden vernünftigen Sinn verloren, sind für die Lächerlichkeit bei allen Ehrlichen und Geschmackvollen reif. Ich werde es nicht erleben, denn gut Ding will Weile; aber ich bin sicher: die Zeit naht, wo man den gelehrttuenden Schwindelhuber an seinen Subjektiv und Objektiv sofort erkennt.
Ein Todfeind allgemeiner Redensarten, will ich einfach durch zwei Beispielchen zeigen, was ich meine. Ich lese in dem Buche eines mir sonst angenehmen Schriftstellers ›Die Kunst im Leben des Kindes‹ folgenden sachlich richtigen Satz: ›Es ist die Frage, ob sich das Millionärskind in seinem sorgfältig ausgestatteten Kinderzimmer subjektiv wohler fühlt als das Proletarierkind auf der Straße.‹ Ich frage den Verfasser und den Leser: Was soll ›subjektiv‹ hier bedeuten? – kann sich ein lebendiger Mensch anders als ›subjektiv‹ wohl fühlen?
Der Vorgang in der Seele des Schreibers ist durchsichtig dieser: wäre er ein Franzose oder Engländer, so hätte er den Satz zweifellos ohne ›subjektiv‹ hingeschrieben; er ist aber ein Deutscher mit der geschwollenen ›akademischen Bildung‹, und als solcher muß er in allem, was er schreibt, von Zeit zu Zeit seine ›akademische Bildung‹ herausstellen; dazu ist nichts so geeignet, so bequem wie das gelegentliche Einstreuen von subjektiv und objektiv. Es ist sinnlos, geschmacklos, aber es ist sehr gebildet. Der Schreiber fühlt nichts dabei, aber er spiegelt sich behaglich in solchen Beweisen seiner ›akademischen Bildung‹ und er weiß, daß kein Leser daran Anstoß nimmt, – wir sind ja in Deutschland, wo kein Mensch Anstoß nimmt an fremden Schwindelwörtern; warum also soll er sie nicht hinschreiben?
Ein zweites Beispiel, dieses als Beweis für eine unser geistiges Leben beherrschende Hirnverrenkung. Ein wissenschaftlich gebildeter Mensch, natürlich sehr ›akademisch‹, schreibt über meine ›Deutsche Literaturgeschichte: ›Für die Gegenwart sind E. E's. Urteile mit Vorsicht zu genießen, denn sie sind stark subjektivistisch‹ (›subjektivistisch, Subjektivismus, Subjektivität‹ sind nur Wurmfortsätze von ›subjektiv‹ und eröffnen die Hoffnung auf weitere Wortschöpfungen dieser lieblichen Art). Was will der um das Geistesheil seiner Leser so besorgte Besprecher mit seinem Warnungsruf ›subjektivistisch‹ sagen? Ja wenn er das selber wüßte! Er weiß es nicht, er denkt sich nichts dabei, er schreibt nur einen seine ›akademische Bildung‹ ins helle Licht stellenden sinnlosen Fremdbrocken hin. Sowie er über sein Geschreibe nachzudenken anfinge, müßte er über sich selbst laut auflachen, denn er hat einen lächerlichen Unsinn hingeschrieben. ›Subjektiv, subjektivistisch, Subjektivismus‹ usw. bedeuten allesamt nicht um ein Haar mehr als: sein, eigen, eigenmenschlich, selbst, selbstgedacht, persönlich usw.; also E. E's. Urteile über die Literatur der Gegenwart sind: seine Urteile, seine eignen, eigenmenschlichen, die von ihm selbst, seine selbstgedachten, seine persönlichen. Nun frage ich den Beurteiler, den über alles Eigenmenschliche erhabenen Richter: wessen Urteile sollte ich denn aussprechen, wenn nicht die meinigen? Sollte ich Herrn Müllers oder Schulzes Urteile wiedergeben? Oder deine, mir unbekannten, Urteile? Und warum sollte ich deine Urteile in meinem Buch drucken lassen? Bist du, oder sonst wer, im Besitze der ewigen, von allem Menschlichen losgelösten Wahrheit? Diese nennst du doch die objektive, nicht wahr? Wie lautet sie? Ich brenne darauf, die einzig wahre Wahrheit zu erforschen, – so sage sie mir doch, ich flehe dich an, du Allweiser! – So bedrängt, rückt der ›objektive‹ Besprecher heraus: Was E.E. z. B. über Rilke sagt, ist subjektiv, denn es ist nur seine Meinung; die objektive hat anders zu lauten, nämlich – so, wie ich sie habe und ausspreche.
Darauf nur läuft das ganze Gefasel mit subjektiv und objektiv hinaus: objektiv ist meine Meinung, subjektiv die jedes Andern, und nur die objektive, also nur meine Meinung ist die ewig wahre; jede andre ist falsch, denn sie weicht von der meinigen ab, ist subjektiv.
Die objektive Literaturgeschichte – wer wird sie endlich schreiben und uns von der subjektiven erlösen? Es gibt nur einen, der sie schreiben könnte; aber der schreibt sie bestimmt nicht: der liebe Gott. Der überläßt das Geschäft den Menschenkindern, und bis jetzt sind die allesamt, selbst die mit der geschwollensten ›akademischen Bildung‹, tief im Subjektivistizismus versunken gewesen; der große Objektive soll noch gefunden werden. Bis dahin bleibt mir nichts übrig, als in neuen Auflagen meiner ›Deutschen Literaturgeschichte‹, wenn ich sie erleben sollte, meine Urteile auszusprechen, nicht die eines Andern.
Unser ganzes Deutsches Geistesleben, soweit es sich im Bewerten künstlerischer oder wissenschaftlicher Leistungen vollzieht, ist durchtränkt mit der Lüge, die in dem sinnlosen Gebrauch von subjektiv und objektiv steckt. Der Leser gewöhne sich daran, sich zu sagen, wo immer er jenen Lügenworten begegnet: hier wird gelogen; hier versteckt sich die Anmaßung, der Dünkel hinter einem gelehrttuerischen Schwindelwort; hier sagt der Schreiber nichts andres als: ich allein habe Recht, aber er sagt es in der betrügerischen Ausdrucksform, die den eignen Dünkel verschleiert und nur den Andern heruntersetzt. Wollte der Mann mit dem Vorwurf des Subjektivismus ehrlich sein, so müßte er sagen: Ich stimme dem Urteil E. E's. nicht bei, ich Wilhelm Müller, oder August Schulze, urteile anders, etwa so, – nun, Leser, entscheide du, wer Recht hat, E. E. der Dumme oder ich Wilhelm Müller der Allweise. Das aber sagt er nicht, denn er ist nicht ehrlich, sondern nur dünkelhaft, – also schreibt er ›subjektivistisch‹ und rechnet damit, daß der gleich ihm durch die schwindelhafte Fremdwörterei halbverblödete Leser denken wird: Also der E. E. ist subjektivistisch, – pfui wie dumm muß er dann sein, und wie weise ist der objektive Herr Wilhelm Müller, der den dummen E. E. noch rechtzeitig entlarvt!
Würden die Schwindelwörter subjektiv und objektiv in ihrer Verlogenheit erkannt, wären die Beurteiler geistiger Leistungen gezwungen, ehrlich zu sein, also Deutsch zu schreiben, etwa ›selbständig‹ statt ›subjektiv‹ zu sagen, so wäre die Schwindelschreiberei sofort unmöglich. Kein Beurteiler würde wagen zu schreiben: Dieses Buch ist das Werk eines ganz selbständigen Mannes (taugt also nichts). Er schreibt ›subjektivistisch‹, was nichts andres bedeutet als ›selbständig‹, und hat geschwindelt.
Man hat geeifert gegen ›voll und ganz‹ und hat es so gut wie ausgerottet. Es war an diesem gedankenlosen Flickwortpaar nichts gelegen, sein Verschwinden ist nicht zu beklagen, aber so verlogen wie subjektiv und objektiv war es nicht. Man konnte sich dabei etwas denken, es war nur gar zu bramsig, gar zu voll und gar zu ganz, aber es war immerhin Deutsch, und Deutsche Wörter können nie so verlogen werden wie unverstandene fremde. O meine Brüder, lasset uns ehrlich sein oder ehrlich werden! Lasset uns nur etwas sagen, was wir fühlen und verstehen, und geloben wir uns, nie nie nie wieder zu schreiben: subjektiv und objektiv, denn so schreiben die Dünkler, die Lügner, die Betrüger.
*