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Lichnowsky (1860-1928)

Die Überschrift nennt einen Menschen, also sollte er in einer der Abteilungen der ›Menschen‹ dieses Buches stehen. Ich habe ihn nicht gekannt, nur einmal flüchtig gesehen, – für mich ist er eine Sache und steht unter den ›Dingen‹: er ist der straflose Landesverrat als eine feste Einrichtung Deutschlands.

Der jetzt vergessene, einst in Berlin und darüber hinaus berühmte Bankmann Goldberger, der nur so heißen wollte, auf keinen Fall Geldborger, hatte nach einer Reise durch Nordamerika ein Buch geschrieben: ›Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten‹. Das Wort wird noch oft angeführt, es steht im Büchmann; es ist gut geprägt, aber falsch angewandt. Auf Amerika paßt es nur, soweit sichtbare Leistungen menschlichen Wagemuts gemeint sind; auf seelische Möglichkeiten, anderwärts Unmöglichkeiten, paßt es einzig für Deutschland. Deutschland ist das Land der seelischen Ungeheuerlichkeiten: allein aus dem Weltkriege könnte ich mehre Bogen mit Unmöglichkeiten füllen, die nur in Deutschland zu Möglichkeiten und Wirklichkeiten geworden sind. Lichnowsky war eine der Wirklichkeiten, die kein andres Land hervorgebracht hat, in tausend Jahren keins.

Ein Satz im Deutschen Strafgesetzbuch lautet: § 89. ›Ein Deutscher, welcher vorsätzlich während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges einer feindlichen Macht Vorschub leistet oder der Kriegsmacht des Deutschen Reichs oder der Bundesgenossen desselben Nachteil zufügt, wird wegen Landesverrats mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zehn Jahren ein.

Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.‹

Dieser Satz war im Weltkriege, nicht durch besondere Verordnung, aber durch stillschweigendes Übereinkommen zwischen Regierung, Polizei, Strafgerichten, Kriegsbehörden, Reichstag, Presse, außer Kraft gesetzt worden. Täglicher Landesverrat durch öffentliches Wort und gedruckte Schrift war straflos. Allerdings mit der Einschränkung: er durfte nur verübt werden von Menschen in gehobener Stellung, von Staatsmännern, Abgeordneten, Zeitungern, von den letzten aber nur, wenn sie von einer starken Reichstagspartei gestützt waren. Im Frieden wäre gegen jede Art des Landesverrats sofort aufs schärfste eingeschritten worden; im Kriege fürchteten sich alle Staatsgewalten vor jeder entschlossenen Tat im Innern. Der Gedanke z. B., daß zur Aburteilung von Landesverrätern Feldgerichte eingesetzt und die Strafen während des Krieges verschärft werden müßten, flößte, wenn doch einmal ausgesprochen, den Gewaltnern Entsetzen oder abweisendes Lächeln ein. Die Regierenden in der Schwäche ihres schlechten Gewissens vom Frieden her fürchteten sich vor ihren inneren Gegnern weit mehr als vor den kämpfenden Feinden.

Ich schreibe den Fall Lichnowsky aus meinem Kriegstagebuch ab (Band 6, Seite 2278), unter dem 19. März 1918, zwei Tage vor dem zur Entscheidung bestimmten Sturmangriff im Westen: ›In diesem erhabenen Abschnitt Deutscher Geschichte widerfährt uns eine Schmach, wie sie in keinem andern Lande der Erde denkbar wäre: ein ehemaliger Deutscher Botschafter verübt niederträchtigen Vaterlandsverrat vor aller Welt! Eine Denkschrift des Fürsten Lichnowsky, abgefaßt im Juli 1916, wird jetzt bekannt, betitelt: ›Die Schuld der Deutschen Regierung am Kriege. Meine Londoner Mission 1902 bis 1914‹. Für Geisteszustand und Gesinnung dieses Verräters ist bezeichnend der Kernsatz seiner Denkschrift [Denkschrift für wen?]: Die Schuld am Weltkriege trage die Eifersucht des Deutschen Auswärtigen Amts, ›weil ich [Lichnowsky] nicht den Erfolg haben sollte, mit Sir Edward Grey den Frieden zu retten.‹ [Lieber also habe Deutschland sich zum Weltkriege entschlossen, als Herrn Lichnowsky den Erfolg zu gönnen, daß der Friede erhalten bliebe!] Was würde in England, in Frankreich, in Italien einem Menschen geschehen, der in so schamloser, zugleich läppischer Weise die Hand gegen sein Vaterland erhöbe? Zweifellos Zuchthaus, wenn nicht Irrenhaus, jedoch wahrscheinlicher der Sandhaufen vor sechs Flintenläufen oder der Galgen. Aber der Fall ist in keinem Feindeslande denkbar. Und was wird dem Verräter in Deutschland widerfahren? Er wird sein hohes Ruhegehalt unbehelligt bis an sein Ende verzehren und sich ein großer Staatsmann dünken … Daß Grey ihn niemals ernst genommen, daß er ihn im vertrauten Kreise einen ›Idioten‹ genannt, wurde mir 1913 in London von eingeweihten Engländern erzählt mit dem Hinzufügen: ›Ihren Bären Lichnowsky kann man am Nasenring der Eitelkeit auf jede Weide führen.‹ Als ihn die Engländer zum Ehrendoktor machten, wußten sie, was sie taten. In seiner Denkschrift brüstet sich der Wicht mit jener Köderwürde, ›die vor ihm kein Deutscher Botschafter außer Bunsen bekleidet hat.‹ Und das war in Deutschlands Schicksalsstunde der Vertreter von Kaiser und Reich in London!‹ –

Lichnowsky ist im Februar 1928 sanft in seinem Bett entschlafen. Er hatte 14 Jahre lang sein unverkürztes hohes Ruhegehalt bezogen. Kein Haar war ihm gekrümmt worden. Längst ist von den damaligen Leitern und Mitarbeitern des Auswärtigen Amts urkundlich bewiesen worden, daß jeder Vorwurf Lichnowskys unbegründet, erfunden, mit gefälschten Beweisen belegt worden war. Es kommt aber garnicht darauf an, ob des Verräters Vorwürfe begründet waren oder nicht, sondern ob eine Aufzeichnung mit dem Inhalt und der Überschrift während des Krieges veröffentlicht werden durfte.

Hinterher hat sich der Mensch zu entschuldigen gesucht, die Denkschrift sei ohne seine Schuld veröffentlicht worden, ohne seine Schuld in andre Hände gelangt. Das war Lüge: die Denkschrift war ihm nicht etwa gestohlen, sondern durch absichtsvolle ›Fahrlässigkeit‹ offen liegen gelassen und ist dann eben veröffentlicht worden. In Frankreich hätte einen verräterischen Botschafter solche elende Ausrede nicht vor dem Sandhaufen bewahrt.

Ein ausländischer Staatsmann hat kurz vor Lichnowskys Tode geschrieben, daß jene Denkschrift und die zu ihrer Verteidigung nachmals geschriebenen Bücher Lichnowskys beweisen, daß er nicht Deutsch empfunden habe. – Warum sollte ein Lichnowsky Deutsch empfinden?

Wie unberechenbar verderblich Lichnowskys Denkschrift gewirkt hat, erfuhren wir im Frühling 1918 aus dem Felde: die englische Regierung ließ Auszüge aus jener landesverräterischen Schrift in Millionen von Abdrücken über die Welt verbreiten und in unzähligen Blättchen in Deutscher Sprache durch Flieger über unsre Kämpferscharen ausstreuen. Der Titel lautete – ähnlich wie Lichnowskys Überschrift –: ›Schuldig!‹ Nämlich: Deutschland schuldig am Kriege. Die Deutschen Soldaten erfuhren daraus noch während des Ansturms im März 1918, daß ein Deutscher Botschafter den Krieg Deutschlands gegen die Welt für eine Deutsche Freveltat erklärte und amtliche Beweise lieferte. In jenen Tagen begann die innere Zermürbung der Deutschen Heere. Lichnowskys Denkschrift war eine der ersten Meucheleien aus dem Hinterhalt der Heimat. Eine Pariser Zeitung druckte die übersetzte Denkschrift ab mit den einleitenden Worten: ›Wir veröffentlichen heute die fürchterlichste Anklageschrift gegen das kaiserliche Deutschland, niedergeschrieben von einem Deutschen.‹

Merkwürdig verhielt sich die Deutsche Presse bei Lichnowskys Tode: über einige sanfte Vorwürfe wie ›unvorsichtig‹ jene Denkschrift gewesen, ging sie nicht hinaus. Das Gefühl für die Verruchtheit des Landesverrats ist in Deutschland in Folge der Straflosigkeit der bevorzugten Schichten im Weltkriege erstorben. Es gibt ganze große Parteien, die sich im Reichstag und in der Presse lustigmachen über jede Anklage gegen einen Verräter, oder gar verlangen, daß mit solchem Unfug, nämlich den Anklagen, ein Ende gemacht werde.

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