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Seit 40 Jahren gibt es das, von Nietzsche nur aufgewärmte, für neu gehaltene Modewort vom Übermenschen. Deutsche Schriftsteller hatten es schon früh im 18. Jahrhundert gebraucht, Goethe ergriff es nach 1800, Schlagwort wurde es etwa seit 1890. Schlagwort ohne Wirklichkeitsgehalt, nachgequasselt, mit der Zeit an seiner Hohlheit hingesiecht. Und dann kam, bald nach 1918, das neue Schlagwort dahergeplappert, das vom ›neuen Menschen‹. Man weiß nicht, wie der ist, wie er sein soll; aber es plappert sich so schön von ihm, berühmte Dichter plappern von ihm, ein hochberühmter läßt einen seiner Helden plappern: ›Ich habe den neuen Menschen gesehn‹, aber – uns zeigt er ihn nicht, wir kriegen nichts zu sehn.
Ich aber habe Menschen gesehn, die mir neu waren. Sie waren längst da, in dieser höchsten Vollendung allerdings wohl erst seit zwei Menschenaltern; doch gleichviel, ich habe die Übermenschen, habe die mir neuen Menschen gesehn und fühle mich gedrängt, von ihnen zu sprechen, obwohl es zu ihrem gesteigerten Menschentum gehört, daß sie sich nichts daraus machen, ob und was man von ihnen spricht. Sie wünschen nicht, daß man von ihnen spreche, und ich schreibe dies nicht, damit sie davon erfahren.
Ein schweres Unglück hatte mich zu diesen Menschen geführt, die ich die himmlischen nennen will. Meine Frau mußte wegen eines Unfalls in das nächste Krankenhaus gefahren werden; es war ein katholisches mit Schwestern vom Orden des heiligen Borromäus. Sie mußte geschnitten, ein zerbrochener Knochen, die Kniescheibe, mußte zusammengenäht werden; dann lag sie 5 Wochen im Bett und wurde geheilt. Ihr Bett umstanden die himmlischen Menschen, jede Bewegung wurde betreut, jeder Handreich hold dargebracht, jede noch so peinliche Hilfe geleistet von den himmlischen Menschen. Wer sie gewesen sein mochten, als sie irdische Menschen waren, frugen wir nicht, erfuhren wir nicht. Ihrem äußern Wesen, ihrer Sprache nach konnten sie Prinzessinnen, Grafentöchter, schwerlich Kommerzienratstöchter gewesen sein; ihre Seelen wiesen auf keinen früheren Stand, keine Herkunft.
Alle Krankenschwestern sind gut; ich kenne nicht viele aus eignem Erleben, aber ich habe immer nur gute gesehen. Wer sich entschließt, sich der Pflege seiner Mitmenschen zu widmen, kann nicht schlecht sein, – so denke ich mir. Ich will nichts andres denken, ich höre auf keinen Widerspruch. Ich weiß, es wird widersprochen, aber ich will nichts davon wissen. Wenn ich aber sage: die katholischen Krankenschwestern, die ich im täglichen Verkehr 5 Wochen lang kennen gelernt, sind himmlische Menschen, so wird mir nicht widersprochen. Viele meiner Freunde kennen diese himmlischen, oder sagen wir für den Himmel reifen Menschen, – jeder stimmt mir zu. Ich schreibe es hier nieder – nicht um sie zu rühmen, denn sie streben nicht nach irdischem Ruhm; sondern um mich und den Leser an der Freude zu laben, daß es solche Menschen gibt. Ist die Gattung Mensch nicht etwas Erhabenes, da es ihr möglich ist, sich bis zur Höhe dieses Himmels der Menschenseele zu steigern?
Was drückt uns Menschen alle mit schwerer Faust in die Niederungen dieses Lebens hinab? Daß wir vom Leben Genüsse erwarten, die erdig sind. Nach solchen Genüssen der Erde streben diese Bräute des Himmels nicht mehr. Sie leben noch auf der Erde, sie wirken auf ihr vom Morgen bis in die Nacht oder die Nächte hindurch für irdische Menschen, auf daß diese wieder fähig werden, irdische Genüsse zu kosten; sie selbst aber kennen nur einen Genuß: sich für Andre völlig aufzuopfern und dereinst Gott zu schauen. Dies buchstäblich ihre Worte waren, als meine Frau eine der Schwestern leise nach dem Richtziel ihrer Seele frug. ›Gott zu schauen‹ – unfaßbarer Gedanke, unfaßbar auch für den Gläubigen; doch welcher Ungläubige wagt an einem solchen Worte zu vernünfteln? Ist der Ungläubige ein wahrhaft gebildeter Mensch, so weiß er, daß er nicht ums Haar mehr weiß als der Gläubige, und der Reichere von beiden ist jedenfalls der Gläubige.
Sie dürfen nichts, garnichts besitzen; sie dürfen nichts annehmen, was die tiefste Dankbarkeit ihnen darbieten möchte, nicht einmal eine Blume, einen Strauß. Ich kam nie ohne einen Gruß aus unserm Garten; die Schwestern verteilten alles an andre Kranke, stellten die Blumen auf die Gänge zur Freude für die Krankenbesucher, schmückten ihre Kapelle, – keine behielt eine Blume für sich. Sie erwiesen meinem Garten die Ehre ihres Besuches und schnitten ganz nach ihrem Belieben, freudig beim Anblick der Frühherbstpracht, – freudig, weil sie die kleine Kirche des Krankenhauses um so schöner schmücken könnten. Keine Erfrischung nehmen sie an; man wundert sich mit der Zeit, daß sie einen dargebotenen Stuhl annehmen.
Wie sie den Kranken trösten! Wie sie ihm das Leiden, die Heimsuchung in einem helleren Licht erscheinen lassen, als er es je geschaut. Ohne Salbung, ohne Salbaderei, mit einem Ernst, der keine Gegenrede aufkommen läßt. Auch dem ungläubigen Kranken kommt der Gedanke: Diese Schwestern wissen von den jenseitigen Dingen mehr als andre Menschen; höre zu, denke nach und schweige.
Keine Spur von Bekehrungsversuchen an Andersgläubigen oder Glaubenslosen. Ich kann mir vorstellen, daß zuweilen ein aus diesem Krankenhaus als genesen Geschiedener sich zum katholischen Glauben bekehrt; doch nicht ein Wort seiner Pflegerinnen hat ihn auf diesen Weg gelockt.
Was für niedrige Dienste verrichten diese höchstverfeinerten himmlischen Menschen! Eins unsrer vielen verlogenen Modestrohwörter heißt ›Kultiviertheit‹; es wird schmockisch angewandt auf Schmöcke, die sich, mit möglichst vielen Fremdwörtern, als ›Epochanten‹ aufspielen und nichts, aber auch reineweg nichts sind und nichts können. Damit vergleiche man die Krankenschwestern, die ihr ganzes Menschenwesen so tief in die vollendete Bildung getaucht haben, daß unter ihren Händen das Irdische der armen schmutzigen Menschheit zum Feierdienste wird. Auf die bedauernde Klage meiner Frau an eine dieser Himmlischen: Ach, liebe Schwester, was für unsaubre Dienste müssen Sie verrichten! – antwortete die Verehrungswürdige: ›Ich darf sie verrichten‹. – Ich finde dieses Wort so groß wie eins der größten in einer klassischen Dichtung.
Diese Huldwesen beichten an den angemessenen Tagen. Was können sie beichten? Es wäre Frevel, sie zu fragen. Vielleicht: daß eine sich an einem Sonnenstrahl, an einer Blume für sich selbst gefreut habe. Daß sie Anstoß genommen an einem ungeduldigen, unvernünftigen, unbescheidenen Kranken. Ach es gibt Kranke, an denen die Engel Gottes Anstoß nehmen würden, wenn sie mit der Pflege betraut wären. ›Es bleibt ein Erdenrest zu tragen peinlich‹ – von uns allen gilt dieses Wort, nicht von den himmlischen Menschen in diesen irdischen Krankenhäusern.
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