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Die Überschrift sollte wohl ›Detlev von Liliencron‹ lauten; aber ich schreibe nicht so, denn er hieß gar nicht Detlev. Mag er in der Literaturgeschichte mit diesem schönen Vornamen, der ein wenig zu seinem Berühmtwerden beigetragen hat, noch ein Jahrhundert fortleben, hier aber nenne ich ihn nicht so.
So nahe wir uns durch meinen Entdeckeraufsatz über ihn im ›Magazin‹ (Dezember 1882) getreten waren, es blieb viele Jahre bei der brieflichen Bekanntschaft. Gesehen haben wir uns nur zweimal, in sehr weiten Abständen.
Liliencron war Mitglied, Mitbegründer der Literarischen Gesellschaft zu Hamburg; im Cholerajahr 1892 frug er bei mir an, ob ich es wagen wolle, bei währender Seuche einen Vortrag in der Gesellschaft zum Besten der Cholerawitwen zu halten; einige Ablehnungen von ›berühmten Bangbüxen‹ habe er schon bekommen. Ich sagte sogleich zu, bat mir nur aus, daß ich nicht in die Notlage kommen dürfe, Wasser zu trinken. Hierfür verbürgte sich Liliencron, und ich fuhr nach Hamburg. Ich las eine meiner Erzählungen vor vollem Riesensaal, es blieb eine anständige Summe für die Cholerawitwen übrig; dann fuhr ich mit dem berühmten Nachtbummelzug nach Berlin.
Kaum zwei Stunden waren wir zwischen dem Schluß der Vorlesung und der Abfahrt des Zuges in heitrer Gesellschaftssitzung beisammen. Ich weiß von keinem andern Teilnehmer mehr etwas als von Liliencron. Otto Ernst, damals noch unberühmt, war Schriftführer, ich habe mit ihm gesprochen, doch hat er mir keinen Eindruck hinterlassen. Aber der wundervolle Liliencron! Übersprudelnd von geistreicher, zugleich anmutig feiner Frohlaune, jung, ach so jung, hinreißend, bezaubernd. Unmögliche Dinge erzählte er als gestern geschehen mit ernstester Miene, und ich glaubte ihm das Meiste. Er duldete keinen Zweifel, z. B. wenn er berichtete, daß er vor einigen Tagen Heinrich Heine in Hamburg getroffen habe, auf dem Gänsemarkt, kaum ergraut. Ich glaubte ihm auch das, tat wenigstens so als ob. Da ich ja eine Autorität in Heinefragen sei, so müsse ich vor allem dafür sorgen, daß die Geschichtefälschung abkäme, Heine sei 1856 in Paris gestorben. – Mit Vergnügen, darf ich Sie als Augenzeugen nennen? – Da kamen ihm Bedenken.
So mußte man mit Liliencron umgehen. Wie jammerschade, daß ich nie wieder einen richtigen Plauderabend mit ihm erlebt habe! Während einer Vorstellung seines Dramas ›Knut der Herr‹ konnte ich ihm im Zwischenakt auf der Bühne die Hand drücken.
Zu seinem letzten längern Brief an mich kam er auf Sprachfragen, wetterte dagegen, daß man den Zweitfall unsrer auf Zischlaute endenden Eigennamen so ruppig bilde: Voß' Odyssee, Lenz' Gedichte, was ja überhaupt keine Sprache sei. Ich schickte ihm als Antwort einen Probebogen meiner grade damals gesetzten Deutschen Literaturgeschichte, worin einmal Voss ens, zweimal Lenz ens stand. Ein begeisterter Brief Liliencrons kam umgehend.
Wie es um Liliencrons bleibende Bedeutung steht, habe ich wiederholt ausgesprochen. Er wurde einst maßlos überschätzt – weil weniger gekauft – und wird jetzt etwas ungerecht unterschätzt. Daß er nicht zu den eigentlichen Bleibenden gehört, steht wohl schon fest.
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