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Julian Schmidt (1818-1886)

Gesprochen habe ich nie mit ihm, gesehen habe ich ihn gegen Ende der 70er Jahre wer weiß wie oft. Er wohnte in meiner Nachbarschafft, in der Gegend des Berliner Lützowplatzes, und ich begegnete ihm am Schöneberger- oder Lützow-Ufer mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Ein winziges Männlein mit scharfgeschnittenem Gesicht, aus dem auch der Unkundige ein ungeheures Selbstbewusstsein las, mit spähenden Augen hinter funkelnden Brillengläsern. Jedesmal, wann ich an ihm vorüberging, durchbohrte er mich mit seinen Blicken. Er kannte mich gewiß nicht, und hätte er selbst meinen Namen gewußt, so wäre ich ihm damals sehr harmlos erschienen, denn meine paar Aufsätze in der Nationalzeitung hatte er wohl kaum beachtet. Ich aber kannte den schon durch Lassalle, später durch Paul Lindau unrettbar lächerlich gemachten Litteraturgeschichtsschreiber Julian Schmidt, wohl den anmaßendsten, den es in Deutschland je gegeben hat. Er war weder unwissend noch dumm, aber er war gewissenlos und unverschämt dazu. Obendrein lieblos: die größten Kunstwerke waren nur dazu da, um daran seine geistige Überlegenheit erweisen zu können. Ob Goethe oder Schiller, Grillparzer oder Hebbel, – vor keinem hatte er die Achtung, die aus der Liebe zur großen Kunst fließt. So unfaßbar anmaßend, lieblos und kunstunverständig zugleich schreibt heute niemand in Deutschland über Literatur. Er machte hämische Bemerkungen über Dichter und ihre Schriften, ohne sie gründlich zu kennen. Wo er zufällig genau Bescheid wußte, da war sein Urteil oft treffend und gut begründet. Aber er schrieb mit derselben hochfahrenden Überlegenheit über Werke, die er nie gelesen, nie von weitem gesehen hatte. Als er auf der Höhe seines Ansehens stand, in den 50er Jahren bis über die Schwelle der 60er, wurde er allgemein geachtet, mehr noch gefürchtet, von vielen ob seines scheinbar ungeheuren Wissens bewundert. Jedoch keiner prüfte sein Wissen gründlich nach, und selbst wer ihn auf fahlem Pferde betraf, hütete sich, mit dem literarischen Beherrscher einiger wichtiger Blätter anzubinden. In Gustav Freytags Grenzboten, in der Berliner Nationalzeitung und noch in manchem andern Blatte war Julian Schmidt der allgewaltige Kunstrichter, der über alles Alte und Neue das große Wort führte, das abschließende Urteil fällte. Seine Deutsche Literaturgeschichte hatte sich nach der von Gervinus eine Geltung erobert, zum Teil durch seinen jeden Widerspruch abschneidenden Unfehlbarkeitston, zum noch größern Teil durch den ihm nahestehenden Presseklüngel, so daß er eine Literaturpabstrolle spielte, wie kaum je wieder einer nach ihm. Das lebende Geschlecht kann sich etwas Derartiges nur dadurch vorstellen, daß es an die überwältigende Macht einiger Berliner Großzeitungen denkt.

Und als Julian Schmidt auf der Höhe seines Ruhmes prangte und sich so gottähnlich dünkte, wie das nur ein Beherrscher des Kunsturteils fertig bringt, da ereilte ihn sein Geschick. Er war nur so lange berühmt und gefürchtet, wie man ihn nicht genau geprüft hatte. Ein Leser geriet über ihn, der seine Literaturgeschichte genau las, und da hatte seine Stunde geschlagen. Ferdinand Lassalle haßte Julian Schmidt aus rein politischen Parteigründen als einen liberalen Phrasenmacher ohne Tiefe, ohne Weitblick. Er wollte ihn ganz kennen lernen, griff zu seiner Deutschen Literaturgeschichte, las, aber prüfend, Inhalt und Stil auf die Goldwage legend, und war entsetzt über den hohlen Phrasendrusch im Bunde mit unbeschämter Krittelei selbst unsern Größten gegenüber. Lassalles kleine Schrift ›Herr Julian Schmidt der Literarhistoriker, mit Setzerscholien‹, ist von allen, die er hinterlassen, die wirkungsvollste, schonungsloseste, geistreichste, ein furchtbares Strafgericht. Mit größerer Gerechtigkeit und in vernichtenderer Form ist kaum je über einen aufgeblasnen, hohlen Schriftsteller geurteilt worden als von Lassalle über Schmidt. Der Strafrichter wechselt ab zwischen grimmigem Ernst, äußerster Grobheit, beißendem Spott, immer fein abgestuft nach dem Grade der Phrasenmacherei, der Unklarheit, der Unwissenheit des Opfers. Kein Höchstgebildeter sollte diese Schrift Lassalles ungelesen lassen. Unübertrefflich ist die verachtungsvolle Schärfe, womit Lassalle Julian Schmidts Ausdrucksform und Stil kennzeichnet, jenen Stil, der in Deutschland immer wieder schwindelhafte Nachahmer und urteilslose Bewunderer findet. Mit mehr Wissen als Julian Schmidt, aber mit ähnlicher, oft verblüffend gleicher Verblasenheit haben geschrieben: Adolf Schöll, Karl Lamprecht, Georg Simmel; schreiben noch heute: Friedrich Gundolf, Rudolph Borchardt, Oswald Spengler, durchweg Schriftsteller, die gar nichts Neues zu sagen haben, durch ihre Ausdrucksform aber den Schein erwecken wollen, als ob sie von ungeheuren neuen Gedanken überlaufen. Lassalle hat diesen Stil, den es ausschließlich in Deutschland gibt, den kein sprachkünstlerisches Volk sonst dulden würde, meisterlich gekennzeichnet: ›Sie haben sich aus den Schriften der Denker und Gelehrten einiger vornehmer Ausdrücke bemächtigt und mit Hilfe derselben sich eine eigene Art gespreizter ›Bildungssprache‹ erzeugt, die einen wahren Triumph der modernen Bildung darstellt und zeigt, wohin es die Kunst bringen kann. Es ist eine nach den Gesetzen der belletristischen Routine kaleidoskopisch durcheinander gerüttelte und geschüttelte Anzahl von Worten, die keinen Sinn geben, aber auf ein Haar so aus sehen, als ergäben sie einen erstaunlich tiefen.‹

Das tollste Stück aber, was Julian Schmidt verübt hatte, war sein gönnerhaftes Abkanzeln der Dichter der schwäbischen Schule; er fand in all ihren Werken ›Anklänge an – den Schwabenspiegel‹! Dieser Blödsinn war ihm unbegreiflicherweise lange durchgegangen, keiner hatte darauf geachtet: ein Beispiel für die Art, wie die sehr berühmt gewordenen Bücher gelesen werden. Einer aber hatte Schmidts Deutsche Literaturgeschichte genau gelesen, Lassalle, und da war er mit Julian Schmidt fertig. Nur bis zu der Stelle vom Schwabenspiegel und der schwäbischen Schule hatte er gelesen, dann warf er das Buch in die Ecke und legte los: ›Sie erkennen selbst in den Werken so verschieden angelegter Naturen wie Strauß oder Vischer Anklänge an den ›Schwabenspiegel‹, an ein Buch, das Sie nie zur Hand genommen! Es ist diese gewissenlose Frivolität, diese freche Windbeutelei, dieser superlativische Humbug, den Sie mit ernsten Dingen und mit einem Publikum treiben, das sich ernsthaft belehren will. Es ist diese tiefe Unsittlichkeit, die noch viel schlimmer ist als Ihre stupende Ignoranz.‹

Nach diesem Keulenschlag war Julian Schmidt ein toter Mann. Dagegen gab es keine Verteidigung, dafür keine Entschuldigung. Wer so bodenlos leichtfertig und anmaßend zugleich gedacht und geschrieben hatte, war fortan im öffentlichen Leben unmöglich. Nie wieder hat sich Julian Schmidt von jenem Schlage erholt. Er schrieb wohl noch zuweilen für die Blätter, in denen seine Aufsätze früher geglänzt hatten, aber ohne Saft und Kraft. Er wurde vorsichtiger und bescheidener; da jedoch stellte sich heraus, daß er seine Geltung überwiegend seiner Keckheit und Selbstsicherheit verdankt hatte; ein zahmer und bescheidner Julian Schmidt war unbeachtlich geworden.

Im Anfang der 70er Jahre hatte Julian Schmidt irgendwo einen Aufsatz über George Sand veröffentlicht, worin er nach altgewohnter Weise von obenherab über die große Dichterin aburteilte. Da traf ihn noch einmal ein völlig vernichtender Blitz. Paul Lindau packte ihn in der ›Gegenwart‹, wies ihm nach, wie windig seine Urteile gewesen waren, und versetzte ihm so nebenher, in einem Nebensätzchen, einen Tatzenhieb mit der Wendung, die auf S. 255 dieses Buches steht. Den Schluß bildete ein Wortwitz, der zu den besten seiner Art gehört.

Dies alles war über Julian Schmidt ergangen, als ich ihn einherwandeln sah. Seine spähenden Blicke deutete ich immer: Kennst auch Du die Schrift von Lassalle und den Aufsatz von Paul Lindau?

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