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Heines Memoiren und Heines Bildnis

Das Gerede von Heines Memoiren hatte sogleich nach seinem Tode angefangen und war in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr verstummt. Gab es Memoiren? – gab es keine? – von welcher Art waren sie? – wer besaß sie? – würden sie je ans Licht kommen? Alle Heine-Forscher hatten sich mit der Frage beschäftigt; Sicheres war nicht zu ermitteln gewesen. Der überlebende Bruder Heines, Gustav von Heine, der Besitzer des Wiener Fremdenblatts, verwirrte die Frage durch allerhand Unwahrheiten, bewußte und unbewußte, noch mehr. So stand die Frage bis in die ersten 80er Jahre. Da erhielt ich in den letzten Dezembertagen 1883 von einem Deutschen Bekannten in Paris, einem Buchhändler, die bestimmte Nachricht: Heines Witwe Mathilde – sie hieß anders – sei gestorben, die Memoiren Heines seien zweifellos vorhanden, mein Bekannter hatte sie gesehen, sie seien im Besitz oder in der Erbschaftsobhut eines Herrn, den er mir, samt dessen Anschrift, nannte, – ob ich geneigt sei, sie zu erwerben? Wäre ich ein Geschäftsmann, und ein kluger, gewesen, so hätte ich den Gedanken gefaßt, die Memoiren einfach zu kaufen und sie in einer großen Zeitschrift herauszugeben. Der Preis konnte nicht so hoch sein, daß ich ihn nicht selbst oder mit Hilfe von Freunden hätte aufbringen können. Dieser Gedanke kam mir nicht, denn ich war kein Geschäftsmann, sondern ein Schriftsteller. Ich wandte mich daher an die Brüder Kröner in Stuttgart, mit denen ich in einer losen Beziehung stand. Sie hatten soeben die Gartenlaube aus dem Nachlaß des Begründers Ernst Keil erworben und waren darauf bedacht, das in den letzten Jahren in den Hintergrund gedrängte Blatt emporzubringen. Heines Memoiren! – die kamen ihnen zu diesem Zweck wie gerufen. Schon vorher hatte ich an den gegenwärtigen Besitzer der Memoiren nach Paris geschrieben und angefragt, ob er mit mir über den Ankauf verhandeln wolle. Als ich an einem Tage zu Beginn des Januars 1884 nach Hause kam, reichte mir meine Frau eine Drahtung aus Paris und frug mich: Wer ist denn die Julia, die dich so dringend am Dienstag erwartet? Die Drahtung lautete nämlich: › Vous attends mardi, Julia.‹ Ich ließ meine gute neugierige Frau ein wenig zappeln, spielte den unwiderstehlichen Romeo, nach dem eine Julia sehnlich schmachte, dann erklärte ich ihr den prosaischen Sachverhalt: Julia heißt der Rechtsanwalt in Paris, der die Memoiren Heines besitzt. Es war ein Sonntag; am Abend zuvor hatte ich aus Stuttgart die Drahtung erhalten: Wir kommen Sonntag Mittag, Kröner.

So weit also war alles gut eingeleitet. Die Brüder Kröner kamen gegen Mittag zu mir, erklärten sich bereit, die Memoiren, wenn sie echt seien, durch mich für die Gartenlaube zu kaufen, nur dürfe kein phantastischer Preis gefordert werden. Ich möge also sogleich nach Paris fahren und mit dem Herrn Julia verhandeln. Ich meldete mich drahtlich bei Herrn Julia an, fuhr am selben Abend nach Paris, traf am Montag Abend ein und hatte sogleich eine Rücksprache mit meinem Deutschen Gewährsmann.

Ich erfuhr, wer Herr Julia war und wie es mit seinem Besitz der Memoiren stand. Julia war der Letztwillensvollstrecker Mathilde Heines, der Verkauf der Memoiren sollte zu Gunsten der Erben Mathildens geschehen. Wer diese waren, erfuhr ich nicht, es ging mich auch nichts an; ich hatte nur mit Herrn Julia zu tun.

In seiner völligen Unkenntnis des Deutschen wußte Julia nur so viel vom Inhalt der Memoiren, wie ihm ein schon befragter Deutschkundiger wohl gesagt hatte. Trotzdem überschätzte er den Wert der Memoiren für Deutschland maßlos, war auch überhaupt nicht fähig, ihn zu beurteilen. Ich erklärte ihm, bevor ich verhandelte, bevor ich nur seine Forderung erführe, müßte ich die Handschrift vollständig gelesen haben. Dies war ihm unangenehm. Er hatte gemeint, eine so unerhörte Kostbarkeit wie Angri Äns Memoiren müsse man als Katze im Sack zu jedem Preise kaufen; ganz Deutschland stehe auf den Zehen vor Erwartung, was in diesen Memoiren enthalten sei. Er ließ sich aber, nachdem ich ihm ruhig gesagt: Ich kann überhaupt nicht über einen Gegenstand verhandeln, den ich nicht kenne, dazu herbei, mir die Handschrift vorzulegen.

Ich setzte mich mit ihr an einen Tisch am Fenster und las. Julia saß die ganze Zeit neben mir und erforschte mein Gesicht. Er entdeckte keine Begeisterung. Ich las, las und war bald sehr enttäuscht. Der Inhalt war dürftig: Heine hatte mit einem ganz falschen Maßstab gearbeitet, Dutzende von Seiten mit Geschichtchen über seine Vorfahren gefüllt, wohl nach dem Vorbilde von Goethes ›Dichtung und Wahrheit‹; aber Heine war nicht Goethe, und das Stück seiner fertig gewordenen Memoiren reichte nicht bis in sein geistiges Leben hinein. Der Stil war jener halbfranzösische steife, der sich in Heine während der langen Jahre seines Pariser Aufenthalts gebildet hatte, wo er mehr Französisch als Deutsch zu sprechen gezwungen war. Die Memoiren lasen sich wie eine Übersetzung aus dem Französischen. Kein Mann gedeihet ohne Vaterland! Furchtbar wahres Wort Storms, das sich an keinem Deutschen Dichter grausamer bewährt hat als an Heinrich Heine.

Ich brauchte fast 4 Stunden zum genauen Lesen der etwa 125 Hochseiten mit Bleistiftschrift. Hin und wieder frug mich Herr Julia: › Eh bien, qu'en dites-vous? N'est-ce pas, très intéres ant, très précieux.‹ Ich erwiderte stets: Abwarten, ich muß alles lesen. Ich dachte, es werde gegen den Schluß hin etwas Wertvolles kommen. Es kam nur die Geschichte von dem roten Sefchen, nichts von tiefer Bedeutung.

Endlich sagte ich Herrn Julia mit gemessener Entschiedenheit mein Urteil: Der literarische Wert der Memoiren ist sehr gering, Geheimnisse des Lebens oder der Politik werden darin nicht enthüllt; es sind ganz harmlose Plaudereien über seine frühe Knabenzeit. Erschienen sie als Buch, so würde der Verleger kein großes Geschäft damit machen, denn die Presse würde sogleich aus den geringen Inhaltswert der Memoiren hinweisen. Die einzige Möglichkeit, für die Erben einen anständigen Preis zu erzielen, sei die, die ich ihm böte: eine große Zeitschrift kauft die Handschrift, weil sie sie als ein Werbemittel verwenden könne. Die Gartenlaube sei unter den Deutschen Zeitschriften die verbreitetste und geldkräftigste. Er, Julia, werde von keinem Deutschen Verleger einen höheren Preis bekommen.

Er wollte mich bewegen, ihm ein Angebot zu machen; dies lehnte ich ab und überließ es ihm, zu fordern. Er nannte 25+000 Franken; ich hatte Vollmacht bis zu 16+000, – die bot ich ihm und sagte: mein äußerstes Gebot, ich könne keinen Sou zulegen. Er war oder tat empört über eine so geringe Summe für ein solches Meisterwerk. Auf ein Feilschen ging ich nicht ein, er möchte sich erklären, es sei nach französischem Sprachgebrauch › à prendre ou à laisser‹. Er hatte gewiß schon vorher bei andern Deutschen Verlegern anfragen lassen, hatte keinen Erfolg gehabt, – so griff er zu und begnügte sich mit 16+000 Franken.

*

Am 1. April 1884 begannen die Memoiren Heines in der Gartenlaube zu erscheinen. Es kam so, wie ich und die Kröner vermutet hatten: der Inhaltswert der Memoiren wurde als gering bezeichnet; die Gartenlaube jedoch nahm einen so hohen Aufschwung, daß die Kröner den gezahlten Preis nicht zu bereuen hatten.

Dem ersten Heft der Gartenlaube gab ich einen Abdruck des schönen Heinebildnisses bei, das seit 1879 in meinem Besitze war. Damit verhielt es sich so. Es wurde nach dem Leben gemalt von Gottlieb Gassen im Jahr 1828, – Heine hatte ihm auf der Reise nach Italien während seines Münchener Aufenthaltes dazu gesessen. Da nach Karl Emil Franzos' scharfsinniger Untersuchung Heines Geburtstag für den 13. Dezember 1797 als feststehend gelten kann, so stellt dieses Bild den Dichter kurz vor der Vollendung des 31. Lebensjahres dar.

Gottlieb Gassen war 1805 in Koblenz geboren, siedelte 1827 nach München über, wo er einer von Cornelius' Schülern wurde, und hat dort im Auftrage Ludwigs I. zahlreiche geschichtliche, romantische und sinnbildliche Wand- und Deckengemälde ausgeführt. Die besten unter den in den Bogengängen des Hofgartens befindlichen Bildern rühren von Gassen her. Auch in der Neuen Pinakothek hat er nach Zeichnungen von Cornelius eine Anzahl schöner Deckengemälde geschaffen.

Heine scheint dem Künstler vor der Vollendung des Bildes ausgerückt zu sein: seine Sehnsucht zog ihn übermächtig nach Italien. Der Zustand des Bildes zeigt das Gesicht fertig ausgemalt, dagegen sind die Haare nur wulstig angelegt und halbvollendet geblieben.

Aus Gassens Besitz, in dem das Bild lange verblieben war, hat es der erste Lebensdarsteller Heines, Adolf Strodtmann, im Anfang der 70er Jahre erworben. In seinem Steglitzer Landhaus habe ich es 1877 zuerst gesehen; aus seinem Nachlaß ist es durch Kauf von der Witwe in meinen Besitz übergegangen.

Es ist zweifellos unter den sehr wenigen echten Ölbildnissen Heines – mir sind nur noch zwei andre, kleinere bekannt – das lebensvollste. Drei Männer, die Heine nahe gekannt hatten: J. L. Klein, Alfred Meißner, der Maler Max Michael, haben mir beim Anblick des Bildes versichert, es sei sprechend ähnlich. Michael, Jahre hindurch ein Freund unsers Hauses, hatte beim jedesmaligen Anblick seine erinnerungsvolle Freude an dem Bild.

Das Heft der Gartenlaube mit dem ersten Abschnitt der Memoiren, mit meiner Einleitung und dem Abdruck des Gassenschen Bildes war erschienen, – da, wohl nach 3 Tagen, erhielt ich einen großen Brief, dessen Umschlag ein stolzes Wappen trug: von der Kaiserin Elisabeth von Österreich, deren schwärmerische Verehrung für Heine bekannt war. Der Brief war ungefähr in dem Ton einer sehr bescheidenen Schülerin an einen ehrwürdigen Lehrer abgefaßt. Mit einer mich verblüffenden Höflichkeit schrieb sie mir: sie habe mit Entzücken das erste Stück der Memoiren des großen Dichters gelesen, danke mir begeistert dafür, habe das wunderschöne Bildnis Heines gesehen, von dem sie nie gehört, und wage mich zu fragen, ob ich es ihr wohl verkaufen wolle; sie könne sich denken, daß es mir sehr wert sei, erkühne sich aber zu der Frage und würde sich ungemein freuen, wenn ich es ihr überließe.

Die Sache war sehr verlockend. Ohne Mißbrauch mit der Schwärmerei der Kaiserin und ihren unbegrenzten Mitteln zu treiben, hätte ich einen Preis fordern dürfen, der mir die Möglichkeit bot, uns ein Landhäuschen bauen zu lassen, vielleicht auch in Steglitz, das damals Vorort von Berlin zu werden begann. Wir waren selbstverständlich nicht reich, aber wir waren nicht arm und brauchten uns des Geldgewinns wegen nicht von dem uns liebgewordenen Bilde zu trennen. Meine Frau und ich beschlossen, den Wunsch der Kaiserin abzulehnen, und ich tat das in schonender Weise. Umgehend kam die Antwort: die Kaiserin begreife, daß ich mich von einem solchen Schatz nicht trennen wolle, vielleicht aber würde ich ihr die Bitte gewähren: ihr das Bild für einige Zeit zu leihen, damit sie es von einem jungen begabten Schützling abmalen lassen könne; sie hafte mir dafür, daß das Urbild nicht aus der Hofburg hinauskäme und daß es mir unversehrt zurückgestellt werden würde. Diesem Wunsche der Kaiserin mochte ich nicht widerstreben; ich schrieb ihr, daß ich ihr das Bild gern zu dem angegebenen Zweck überlassen wolle. Wenige Tage darauf kam der Herr Botschafter Graf S. zu mir, begleitet von einem Tischler und einem Staatskurier: das Heinebild im Rahmen wurde vor meinen Augen in eine Kiste geschraubt, der Botschafter schrieb eine Empfangsurkunde, und der Kurier fuhr mit der Kiste nach Wien.

Nach etwa 4 Wochen kam das Bild wohlbehalten zurück; einige Tage drauf kam ein dicker Wertbrief der Kaiserin: nochmaliger Dank für ›meine große Freundlichkeit‹, das Abbild sei sehr gut ausgefallen, hänge in ihrem Lesezimmer und mache ihr täglich Freude. Zum Andenken an meinen ihr erwiesenen Dienst bäte sie mich, die beifolgende Kleinigkeit freundlich annehmen zu wollen.

Ich nahm die Kleinigkeit freundlich an: eine sehr kostbare Busennadel mit einem großen Opal im Kreise von Diamanten. Da es mit meinem Busen nicht weit her ist, so trägt meine Frau zuweilen das Andenken an die edle unglückliche Fürstin.

Hätte ich der Kaiserin das Heinebild verkauft, so hätte ich es nach ihrem Tode zurückbekommen: Kaiser Franz Josef hat alle von der Kaiserin gesammelte Heine-Andenken den früheren Besitzern zurückgegeben. Ich hätte also ein gutes Geschäft gemacht. Hätte ich? Was wäre heute das Endergebnis? Daß ich in der langweiligen Mittelstadt Steglitz wohnte, wo alle Welt wohnt, während ich jetzt in Bornim wohne, das mir so ziemlich allein gehört. So steht es mit den guten Geschäften.

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