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Wilhelm der Zweite

Man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist so: was ich hier urkundlich berichte, ist ganz unbekannt, hat fast 40 Jahre unbenutzt in den Akten geschlummert, wird hier zum erstenmal mitgeteilt. Es lag vergraben in den Drucksachen des preußischen ›Königlichen Landesökonomie-Kollegiums‹, von dem ich soeben gesprochen habe. Für den, der nachforschen und vergleichen will, bezeichne ich den Band: ›Verhandlungen der 1. Session der 5. Sitzungsperiode, 10. – 15. November 1890‹. Die Bücherei des preußischen Landwirtschaftsministeriums besitzt ihn. Man schlage die Seite 338 des stenografischen Berichtes auf; ich habe ihn angefertigt. Es handelte sich um die Beratung eines Antrags des landwirtschaftlichen Zentralvereins Königsberg, betreffend die Schutzmaßregeln bei landwirtschaftlichen Maschinen. Der Kaiser hatte sich zu diesem Gegenstande angesagt, eine besondere Abendsitzung war dafür anberaumt. Der Berichterstatter hatte gesprochen, ein paar Redner waren gefolgt, dann nahm der Kaiser, stehend, das Wort:

›Mir sind zwei Punkte aufgefallen, von denen ich bitten möchte, daß Sie dieselben bei Ihrer Beratung berücksichtigen. Es sind seit meiner Regierungszeit merkwürdig viele Fälle vorgekommen, in denen Arbeiterinnen umgekommen sind durch Verunglückung bei Maschinen. Ich bekomme regelmäßig tabellarische Übersichten der Begnadigungsgesuche vom Justizminister und dabei ist mir die Zahl auffällig gewesen der Unglücksfälle, welche ländliche Arbeiterinnen beim Maschinenbetrieb betroffen haben. Ich habe nun, wie dies auch schon angeführt worden ist, die Begnadigung nicht mehr so leicht wie früher eintreten lassen.

Nebenbei bemerkt, herrscht eine große Verschiedenheit in der gerichtlichen Beurteilung dieser Straffälle und in dem verhängten Strafmaß. Ich ließ nun nachforschen, wodurch eigentlich diese Arbeiterinnen – es waren vorzugsweise Mädchen bei Dreschmaschinen – umgekommen waren und regelmäßig zeigte es sich, daß die Mädchen mit ihren Röcken von den Transmissionswellen erfaßt und darin verwickelt wurden. Nun erkundigte ich mich, ob keine Schutzvorrichtungen da waren. Jawohl, hieß es, nach den polizeilichen Vorschriften müßte die Welle mit einem Deckel oder einem Kasten zugedeckt sein, aber das war in diesen Fällen jedes Mal außer Acht gelassen. Es zeigt sich also hier einerseits eine gewisse Gleichgültigkeit seitens des Besitzers oder desjenigen, der den Betrieb zu leiten hat, gegen das Leben der von ihm beschäftigten Arbeiterinnen und anderseits auch eine Gleichgültigkeit der Arbeiterinnen selbst, die sich daran gewöhnt hatten, in der Nähe der bewegten Maschinenteile zu arbeiten und die Wellen zu überschreiten, und schließlich geschah dann das Unglück. Daher möchte ich Sie bitten, daß vielleicht bei dem Wort ›Maschinen‹ diese Übertragungsvorrichtungen nicht vergessen werden; die Maschinen stehen vielfach in dem einen Raum und die Übertragungen befinden sich in einem andern Raum oder auf dem Hofe, und das ist die Hauptursache der Unglücksfälle. Denn über den Hof läuft Jeder, um so mehr wenn noch Kinder da sind und herumspielen und dann kann zu leicht Unheil passieren.

Sodann möchte ich in Bezug auf das von einem der Vorredner Erwähnte bemerken, daß ich von selber zu dem gleichen Schluß gekommen bin, wie Herr Professor Schmoller. Ich glaube nämlich, daß es nicht genügt, wenn der Staat den Arbeitern die Verpflichtung auferlegt, sich in Acht zu nehmen, und wenn er ihnen Vorschriften macht, wie sie sich bei den Maschinen zu benehmen haben. Es ist dies nicht durchführbar. Ich glaube vielmehr, daß, wenn solche Wünsche vorhanden sind, wenn sich Nachteile in der Beziehung herausgestellt haben, daß die Arbeiter zu leichtsinnig verfahren, so ist es viel besser, man legt dem betreffenden Besitzer oder dem, der mit der Leitung von Maschinen beauftragt ist, die Verpflichtung auf, das Personal besser zu beaufsichtigen. Kann der Besitzer sich selbst nicht darum kümmern, dann möge er sich doch solche Beamte halten, die auf die Arbeiter genügend einwirken, daß sie sich in Acht nehmen. Man muß nicht vergessen: Was ist meistens ein solcher Arbeiter? Was versteht er von einer Maschine? Er weiß häufig nur, sie schneidet oder ist sonst gefährlich; es ist ihm ein gewisser Handgriff gezeigt worden, so soll er es machen; aber das Andere versteht er nicht und ist ihm gleichgültig. Also Verordnungen, welche sich nur oder vorzugsweise auf die Arbeiter beziehen, würden nichts nützen, denn die Leute würden nicht begreifen, was sie bezwecken, und würden, wenn ihnen die Sache langweilig oder unbequem wird, es doch immer außer Acht lassen und sich dadurch den Unfällen aussetzen.

Ich glaube also, die Hauptsache ist, beim landwirtschaftlichen Maschinenbetriebe auf eine gehörige Beaufsichtigung der Arbeiter durch die Arbeitgeber hinzuwirken. Wenn das geschieht, so würden die Unfälle schon abnehmen.

Sehr interessiert hat es mich hier zu hören, daß in der Landwirtschaft nicht die Maschinen, sondern ganz andre Umstände die meisten Unfälle herbeiführen und daß speziell in allen Provinzen, wo viel mit Pferden gearbeitet wird, viele Unglücksfälle dabei vorkommen. Das ist mir sehr angenehm, daß auch diese Seite der Frage der Unfall-Verhütung hier angeregt ist und daß die Herren sich damit beschäftigt haben.

Im Übrigen ist es mir eine große Freude gewesen, an diesen Beratungen mit Teil zu nehmen.‹

Als ich im Jahr 1911 mit Bebel von dieser Rede sprach, war er sehr erstaunt, – er hatte keine Ahnung davon.

*


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