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Hugo Preuß (1860-1925)

Er war hochbegabt und ehrgeizig, aber doch nur ehrgeizig aus dem gesunden Gefühl, daß er Einer war. Grade in seinem berechtigten Ehrgeiz war er ungerecht, schnöde, grausam gekränkt worden. Er war Privatdozent für Verfassungswesen und -Geschichte an der Berliner Universität, kein Dutzendozent, sondern eine Zierde seines Sonderfaches. Die Professur war ihm sicher, er stand dicht davor, – da geschah etwas Furchtbares, Ungeheuerliches, diesen Übeltäter Vernichtendes. Er war nicht etwa Sozialdemokrat wie der staatsgefährliche Privatdozent der Naturwissenschaft Dr. Leo Arons, sondern ein bei weitem weniger gefährlicher Freisinniger und er war Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Als solcher hatte er bei einer Erörterung über die Verwendung von Beisteuern der Stadt Berlin zu gewissen frommen Stiftungen der Kaiserin im Jahr 1898 eine Rede gehalten, worin er dem allgemeinen Befremden Ausdruck gab, daß man über den Verbleib der Gelder im Dunkeln gelassen wurde. Preuß gebrauchte nach seiner zu launigen Anführungen neigenden Vortragsweise den Bibelspruch: ›Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt‹ (Hiob 1, 21). Diese Anführung wurde in dem Kreise um die Kaiserin, besonders von einem Hofherrn von Mirbach, als entsetzliche Gotteslästerung, zugleich als schwere Majestätsbeleidigung, vielleicht als sonst noch ein ruchloses Verbrechen angesehen, und nun ging das halsnotpeinliche Verfahren gegen diesen Staats- und Hofumstürzer los wie einst gegen den ›frechen Verhöhner von Staatseinrichtungen‹ Leo Arons. Von oben, von hochoben herab wurde die Juristenfakultät der Berliner Hochschule ›angewiesen‹, über den gefährlichen Privatdozenten Hugo Preuß wegen seiner aufrührerischen Rede in der Stadtverordnetensitzung eine Strafe zu verhängen, ihn wohl gar seines hohen und hervorragend einträglichen Amtes eines königlich preußischen Privatdozenten zu entsetzen und auf solche Weise den bedrohten preußischen Staat ebenso zu retten, wie einige Jahre zuvor durch die Amtsentsetzung jenes andern Verbrechers Leo Arons. Gegen diesen hatte es der Verfertigung eines besondern Gesetzes bedurft, der ewig denkwürdigen Lex Arons; bei Preuß begnügte man sich hochoben mit einem Strafverfahren der Fakultät gegen den Übeltäter. Dieses endete, da die Fakultät kein Arg an Preuß fand, aber doch ein wenig strafen sollte, mit einem urgemütlichen ›Verweise‹ des Dekans an Preuß. Hierauf schüttelten der Erteiler des Verweises und der so fürchterlich Verwiesene einander freundschaftlich die Hände, und Preuß durfte sein stolzes und zu den schönsten Hoffnungen berechtigendes Privatdozentenamt behalten. – So hat mir Preuß den Vorgang geschildert, nur viel lustiger, als ich ihn hier wiedergebe.

Damit aber war der Rachedurst nicht gestillt: den Verbrecher hatte seine amtliche Strafe ereilt, nun aber folgte die langandauernde nichtamtliche. Preuß, der schon längst hätte Professor sein müssen, durfte es nicht werden. Jahr um Jahr verging, – Preuß blieb Privatdozent, mit zehn Jahren Dienstzeit noch Privatdozent. Denn welcher Unterrichtsminister hätte gewagt, einen noch so hervorragenden Hochschullehrer zum Professor, natürlich nur zum Außerordentlichen, zu ernennen, über dem die Wetterwolke der hochobigen Ungnade schwebte? Das hätte selbst der allgewaltige Althoff nicht gewagt. Da wurde Preuß als Lehrer an die Handelshochschule berufen, und nun bekam der Minister die Erlaubnis von allerhöchster Stelle, dem alten Sünder den ihm ein Jahrzehnt vorenthaltenen Professortitel zu verleihen.

Preuß war ehrgeizig; doch selbst in seinen verwegensten Zukunftsträumen hatte er bis zum Weltkriege und dessen Ende an kein höheres Ziel gedacht als das von ihm ja schon erreichte: Professor an einer Hochschule – was gab es für ihn auf Erden denn noch darüber hinaus? Er wäre schon beglückt gewesen, wenn er es bis zum Abgeordneten gebracht hätte. Wiederholt hatte er sich um einen Sitz beworben, aber die Parteihäuptlinge hatten ihm nach der törichten Gepflogenheit, den Zuwachs selbstwilliger bedeutender Neulinge zu verhüten, einen Wahlkreis zugeteilt, der eben nicht zu erobern war. Die Mittelmäßigen und die Nullen bekamen die bequemen Wahlkreise, die starken jüngeren Kräfte die unmöglichen, und so versauerte und schrumpfte die freisinnige Partei bis zur Unbeträchtlichkeit. Diese Gepflogenheit rührte von Eugen Richter her, der keinen selbständigen Kopf in ›seiner‹ Partei duldete.

Wie es dann kam, daß er Reichsminister des Innern wurde, hat mir Preuß ohne die geringste Ruhmredigkeit erzählt. Ebert brauchte einen Mitarbeiter und Minister, der im Stande war, eine neue Reichsverfassung auszuarbeiten: dazu war nach allgemeiner Überzeugung nur Preuß der Mann, der beste Deutsche Kenner aller Staatsverfassungen auf der Erde.

Unvergeßlich ist mir ein Wort geblieben, das Preuß einst kurz vor dem Kriege zu mir gesprochen. Wieder einmal, zum hundertsten Mal, hatte der preußische Minister des Innern auf höhere Weisung die städtischen Behörden Berlins in einer wichtigen Stadtsache kraft des ›Aufsichtsrechts‹ aufs schnödeste gehudelt. Es galt ja einst für die höchste Staatsweisheit in Preußen, durch immerwährende Willküreingriffe in die Selbstverwaltung die Stadt, die rot und rosa wählte, fühlen zu lassen, daß über ihr eine wohlwollende Staatsregierung walte, für die die Selbstverwaltung eine Redensart war. Preuß loderte in heller Empörung über die neue Mißhandlung Berlins: sein Gemeinsinn – er war unbesoldeter Stadtrat geworden –, sein Rechtsgefühl, sein Staatsgewissen waren verletzt. Auf meine Frage: Gibt es dagegen kein verfassungsmäßiges oder verwaltungsrechtliches Mittel? sagte er mit wahrem Ingrimm: ›Nein, und ein Jena kann man doch diesem Staat nicht wünschen!‹ Als ich ihm jenes Wort nach 13 Jahren ins Gedächtnis rief, erinnerte er sich sogleich.

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